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Stillkaries: Mythos oder ernsthaftes Risiko?

Verursacht Muttermilch Karies?

Durch die Kombination aus zuckerhaltiger Milch und Dauernuckeln ist es letztlich nicht entscheidend, ob die Milch aus der Flasche kommt oder aus der Brust.

Copyright © MarkoNOVKOV – iStock

Sind die Milchzähne bei Babys und Kleinkindern kariös, spricht man von Early Childhood Caries (ECC). Dafür verantwortlich gemacht haben Zahnärzte lange vor allem das Dauernuckeln an Babyflaschen, die mit zucker- bzw. säurehaltigen Getränken gefüllt sind. Doch das ist zu kurz gedacht: Auch Muttermilch kann Karies verursachen. Dann geht es um die sogenannte “Stillkaries”.

Die Begriffe „Nursing Bottle Syndrome“, „Nuckelflaschenkaries“, „ECC“ bezeichnen im Kern dasselbe Krankheitsbild: kariöse Defekte an den Milchzähnen, die bereits in den ersten Lebensjahren entstehen. Diese frühkindliche Karies betrifft in Deutschland circa 10 bis 15 Prozent der Kleinkinder und hat – anders als Karies an den bleibenden Zähnen – in den letzten Jahren nicht abgenommen.

Verantwortlich für die ECC wird bislang vor allem das Fläschchen gemacht, das mit gesüßtem Tee oder Saftschorlen gefüllt ist und dem Kind jederzeit zur Verfügung steht. Als Einschlafhilfe, aus Langeweile und eben auch als Durstlöscher. Was viele nicht wissen: Auch Langzeitstillen, bei dem das Kleinkind sehr oft an die Brust angelegt wird, bewirkt den gleichen Effekt. Denn: Muttermilch enthält Milchzucker (Laktose).

Muttermilch enthält Laktose

Die Kinderzahnärztin Dr. Sabine Dobersch-Paulus, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ), beobachtet in ihrer Praxis seit längerer Zeit eine Zunahme der sogenannten Stillkaries. „Anders als vor 30 Jahren, als gesüßte Pulvertees in Flaschen verbreitet waren, liegen heute Stillen und insbesondere Langzeitstillen im Trend. Natürlich ist Stillen die beste Ernährung für ein Neugeborenes und einen Säugling. Muttermilch enthält alles, was das Neugeborene braucht, alle Nährstoffe, Fette und Abwehrstoffe und eben auch Milchzucker.“

Zum Problem wird der Milchzucker, wenn mit etwa sechs Monaten die Zähne durchbrechen. In der Regel brechen zunächst die unteren Schneidezähne durch, kurz darauf die oberen Frontzähne. Beim Saugvorgang schiebt das Baby die Zunge nach vorne und die Wangen werden nach innen eingezogen, der Oberkiefer wird gegen den Unterkiefer abgedichtet. Die Muttermilch umspült insbesondere die oberen Frontzähne. „Wenn das permanent geschieht, sind die Zähne sehr gefährdet. Milchzähne sind etwas weniger mineralisiert als bleibende Zähne. Außerdem haben die Milchzähne nach dem Durchbruch noch nicht ihre endgültige Schmelzhärte“, sagt Dobersch-Paulus.

Stillkaries betrifft Frontzähne

Es entsteht das typische Krankheitsbild der Nuckelflaschenkaries, das Du leicht erkennst: Die Oberkieferzähne sind kariös, während die Unterkieferzähne nicht betroffen sind. „Die durch Trinken entstandene Karies zeigt sich an den Oberkieferschneidezähnen, dann an den ersten Backenzähnen oben, später auch an den Eck- und letzten Backenzähnen. Entsprechend dem Durchbruch der Milchzähne. Dadurch kann man das ganz sicher diagnostizieren“, sagt die Kinderzahnärztin.

Dass fast alle Zähne, auch die im Unterkiefer, betroffen sind, sei in der Regel erst bei Drei- bis Fünfjährigen der Fall. Dobersch-Paulus spricht hier von der „Naschkaries“, die durch den übermäßigen Konsum zuckerhaltiger, fester Nahrung bei unzureichender Mundhygiene entsteht.

Wie verhindert man als Mutter Stillkaries?

Neben einer angemessenen Zahnpflege mit fluoridhaltiger Zahnpasta ab dem ersten Zahn kommt es auf die Abstände zwischen den Stillmahlzeiten an: „Wenn Babys alle vier Stunden gestillt werden, passiert in der Regel nichts. Aber wenn Kinder die Brust wie eine Art Nuckel verwenden und sie ihnen permanent zur freien Verfügung steht, vor allem in der Nacht, erzeugt das den gleichen Effekt wie das Nursing Bottle Syndrom“, sagt Dobersch-Paulus. Es handele sich dabei auch nicht um eine Fluorid-Mangel-Erkrankung, die mit Fluoridtabletten verhindert werden kann.

Verursacht Flaschenmilch Karies?

Durch die Kombination aus zuckerhaltiger Milch und Dauernuckeln ist es letztlich nicht entscheidend, ob die Milch aus der Flasche kommt oder aus der Brust. Industrielle Flaschenmilch ist der Muttermilch nachempfunden. „Muttermilch enthält etwa 7 bis 8 Prozent Laktose. Die sogenannten Ersatznahrungen enthalten ebenfalls alle zwischen 7 und 8 Prozent Laktose“, so Dobersch-Paulus. Die Milchpulver verschiedener Hersteller unterscheiden zwischen Pre- (Anfangsnahrung) und Folgemilch (1er-, 2er-Milch). Diese Unterscheidung bezieht sich auf die darin enthaltene Stärke, die bei 1er- und 2er-Milch höher ist als in der Pre-Nahrung, die Milch sämiger werden lässt und zu einem längeren Sättigungsgefühl führen soll. Der Milchzuckergehalt unterscheidet sich jedoch nicht, das heißt, für die Kariesentwicklung macht es keinen Unterschied, welche Flaschennahrung gegeben wird. Entscheidend ist die Häufigkeit.

Zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen ab dem 6. Lebensmonat

Ab 1. Juli 2019 haben Kinder zwischen dem 6. und 34. Lebensmonat Anspruch auf drei Früherkennungsuntersuchungen beim Zahnarzt. Neu ist auch, dass das Auftragen von Fluoridlack zur Zahnschmelzhärtung für Kinder diesen Alters zur Kassenleistung wird. Die Primär-Prophylaxe begrüßt die Kinderzahnärztin Dr. Sabine Dobersch-Paulus: „Ich empfinde die zusätzlichen Früherkennungsuntersuchungen als Gewinn. Allerdings müssen die Zahnärzte wissen, was sie mit einem 6 Monate alten Kind anfangen sollen. Häufig wissen sie das nicht.“

Daraus ergeben sich neue Aufgaben für das Prophylaxeteam: In einem Aufklärungsgespräch kannst Du als Prophylaxefachkraft über die Ursachen von Karies aufklären und die Trinkgewohnheiten des Kindes – zu denen eben auch das Stillen zählt – erfragen. So besteht die Chance, zu verhindern, dass sich bei den kleinen Patienten ECC entwickelt.

Weitere Informationen: Ratgeber „Frühkindliche Karies vermeiden“ von BZÄK und KZBV


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  1. Sabrina Kösling

    20 April

    Diese Informationen sind fachlich nicht korrekt! Muttermilch schützt sogar vor Karies, da dies das Enzym Lactoperoxidase enthält. Zudem wird die Brustwarze beim stillen so tief in den hinteren Gaumen gezogen, dass die Zähne nicht von Muttermilch umspült werden. Bitte bearbeiten Sie Ihren Artikel.

  2. Bianca Freitag

    21 April

    Liebe Sabrina, die in dem Artikel enthaltenen Fachinformationen wurden uns von der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde zur Verfügung gestellt, deren Vorstandsmitglied Dr. Sabine Dobersch-Paulus auch an verschiedenen Stellen zitiert wird. Muttermilch wird in dem Beitrag nicht generell als Karies verursachend dargestellt. Im Gegenteil, wie etwa an dieser Stelle: “Natürlich ist Stillen die beste Ernährung für ein Neugeborenes und einen Säugling. Muttermilch enthält alles, was das Neugeborene braucht, alle Nährstoffe, Fette und Abwehrstoffe und eben auch Milchzucker.”

    Der Artikel benennt aber auch die Umstände (Langzeitstillen, zu kurze Stillabstände, unzureichende Mundhygiene etc.) bei denen es auch zu einer Stillkaries kommen kann.

    Wir werden aber noch einmal prüfen, ob die positiven Aspektes des Stillens in den Beitrag noch stärker betont werden müssten. Vielen Dank für diesen Hinweis!

  3. Marei Köster

    7 Oktober

    Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich hatte beim Lesen des Artikels genau die gleichen Gedanken. Es ist sehr traurig, dass sogenannte Fachleute derart abstrusen Fehlinformationen weiterverbreiten und so dafür sorgen, dass Mütter ihre Kinder aus falscher Sorge heraus abstillen.

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