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Erosionen, Abrasionen & Co.

Insbesondere Erosionen und Abrasionen treten infolge veränderter Ernährungsgewohnheiten immer häufiger auf. Wie Prophylaxe-Fachkräfte Patienten dabei unterstützen können, weitere Zahnhartsubstanzverluste zu vermeiden beziehungsweise diese zu reduzieren, erläutert DH Heike Wilken in diesem Artikel.

Es stellt sich die Frage, wie sich Erosionen, Abrasionen & Co. von einander unterscheiden. Zunächst ist allen gemeinsam, dass es sich um Zahnhartsubstanzverluste ohne die Beteiligung von Mikroorganismen handelt. Nun zu den Unterschieden: Abrasion ist definiert als pathologischer Verlust von Zahnhartsubstanz durch mechanische Prozesse, außer durch Zahnkontakt. Der Kontakt entsteht durch in der Mundhöhle eingebrachte Fremdkörper zum Beispiel Piercings oder durch übermäßiges Zähneputzen. Dieser Substanzverlust nimmt in Kombination mit einer erosiven Schädigung des Zahnes zu. Erosion wird definiert als irreversibler Verlust von Zahnsubstanz durch den Einfluss chemischer Prozesse ohne Beteiligung von Mikroorganismen. Die verantwortlichen Säuren oder Chelatbildner können intrinsischer (Magensäure) oder extrinsischer Natur (Nahrung) sein. Attrition ist der Verlust an Zahnhartsubstanz durch Verschleiß während des Zahnkontakts an den okklusalen und approximalen Flächen. Abfraktionen entstehen durch eine exzentrische, okklusale bzw. inzisale Überbelastung. Es handelt sich dabei um keilförmige Defekte, die meist am vestibulären Zahnhals lokalisiert werden und eine scharfkantige Grenze aufweisen.

Exogene und endogene Faktoren bei Erosionen
Exogene Faktoren bei Erosionen: Bei vielen Patienten sind säurehaltige Lebensmittel die Ursache. Dies ist auf ein verändertes Gesundheits- und Ernährungsverhalten zurückzuführen. Immer mehr Menschen trinken zunehmend Getränke mit niedrigem ph-Wert (zum Beispiel Fruchtsäfte) und essen vermehrt säurehaltige Früchte oder Salate mit Essigdressings. Die Erosionen nehmen zu, denn der Trend geht weiter hin zu einer gesundheitsbewussten Ernährung. Doch die Ernährung ist nicht die einzige Ursache: Nicht wenige Betroffene, leiden unter Refluxbeschwerden, einem sogenannten endogenen Faktor. Bei ihnen schädigt zurücklaufende Magensäure die Zähne. Bei einer nicht geringen Patientengruppe ist Bulimie oder Anorexia nervosa die Ursache. Bei den zumeist weiblichen Betroffenen werden die Zähne durch Magensäuren beim Erbrechen geschädigt. Ein Problem ist: Die Patienten nehmen diese Gefahr in der Regel längere Zeit überhaupt nicht wahr, denn Erosionen verursachen erst einmal keine Schmerzen. Patienten bemerken im Frühstadium davon nichts. Sie werden erst auf die Läsionen aufmerksam, wenn ihre Zähne aufgrund der dünneren Schmelzschicht gelber und kürzer werden oder wenn sie an Überempfindlichkeiten leiden. Wie bei allen anderen Patienten auch, ist es wichtig, eine sorgfältige Anamnese au zunehmen. Hierbei muss nicht nur nach Magenproblemen, Medikamenten und Zahnpflegegewohnheiten gefragt, sondern auch eine sorgfältige Ernährungsanamnese durchgeführt werden. Einen großen Einfluss auf die Therapie von Erosionen hat, wie schon ausgeführt, das Ernährungsverhalten der Patienten. Hier ist die Prophylaxe-Fachkraft gefordert. Die Beratung erfordert Fingerspitzengefühl und auch die Erkenntnis, dass ein komplettes Verbot nicht immer zielführend ist. Ein Ernährungsprotokoll kann da sehr hilfreich sein. Dieses sollte an mindestens vier auf einander folgenden Tagen durchgeführt werden und auch das Wochenende einbeziehen. Den meisten Patienten ist gar nicht bewusst, in welchen Lebensmitteln Säure enthalten ist. Außerdem ist das Ernährungsverhalten am Wochenende oftmals ganz anders. Die anschließende Ernährungsberatung sollte dazu genutzt werden, dem Patienten bewusst zu machen, welche Nahrungsmittel eine erosive Wirkung haben. Liegen mehr als vier Säureinputs pro Tag vor und ist mindestens ein weiterer Risikofaktor vorhanden, so besteht ein erhöhtes Erosionsrisiko.

Befunderhebung bei Erosionen
Eine gute klinische Diagnostik von Erosionen im Frühstadium ist sehr wichtig. Sobald Erosionen klinisch festgestellt werden oder Anzeichen für ein erhöhtes Erosionsrisiko vorhanden sind, sollte beim Patienten eine genaue Abklärung durchgeführt werden. Die von Bartlett, Ganß und Lussi entwickelte Kurzuntersuchung (BEWE = Basic Erosive Wear Examination) eignet sich gut dazu, Erosionen zu quantifizieren und zu dokumentieren. Der BEWE-Score ermöglicht eine Beurteilung der Säureschäden eines Gebisses mit geringem Zeitaufwand. Er ist einfach zu erlernen und unterstützt den Behandler bei der Planung des weiteren Managements des Patienten. Mit Ausnahme der dritten Molaren werden alle Zähne jeweils vestibulär, okklusal und oral auf Säureschäden untersucht. Dabei wird jedem Zahn, je nach stattgefundenem Substanzverlust, ein Wert zwischen 0 und 3 zugeordnet und der höchste Wert in jedem Sextanten addiert. Besonders einfach kann der BEWE-Score im Programm ParoStatus.de aufgenommen werden. Hier wird lediglich der Grad der Erosion erfasst und dokumentiert. Die Berechnungen und Konsequenzen werden automatisch in ParoStatus vorgenommen und dargestellt. Aus dem Pop-up-Menü wird der Grad der Erosion ausgewählt mit der vereinfachten Darstellung 0 = keine Erosion. 1 = beginnend 2 = deutlich 3 = über 50%. Die Auswertung erfolgt automatisch und wird in einer Ampelgrafik dargestellt.

Patientenbedingte Risikofaktoren
Ess- und Trinkgewohnheiten: Die Art der Aufnahme der erosiven Nahrungsmittel oder Getränke (schluckweise, mit oder ohne Trinkhalm) bestimmt die Dauer und die Lokalisation des Säureangriffes und damit das Erscheinungsbild der Erosionen. Die Häufigkeit und Dauer von Säureangriffen sind von entscheidender Bedeutung für die Zahnhartsubstanzzerstörung und damit auch für das Ergreifen von Prophylaxemaßnahmen.

Reflux
Von einer Gastroösophagealen Refluxerkrankung (GERD) sind in Deutschland etwa 20% der Erwachsenen und 10% der Kinder betroffen. In vielen Fällen führt GERD zu erosiven Zahnschäden. Asymmetrisch verteilte Erosionen deuten auf nächtlichen Reflux bei Bevorzugung einer Schlafseite hin.
Mögliche Symptome bei Gastroösophagealem Reflux:
• Erosionen
• Saures Aufstoßen
• Sodbrennen
• Morgens saurer oder bitterer Geschmack im Mund
• Übelkeit
• Erbrechen
• Chronische Erkrankungen wie Asthma

Speichel und Medikamente
Ein weiterer Faktor ist der Speichel. Zu den schützenden Eigenschaften des Speichels bei einem Säureangriff zählen: Säureverdünnung, Säureneutralisation, Verminderung der Schmelzauflösung durch Kalzium und Phosphat-Ionen. Es gibt viele Medikamente, die zu einer Reduktion der Speichelsekretion führen. Dazu gehören u.a. Tranquillizer, Antihistaminika, Antiparkisonpräparate. Besonders Erosionspatienten sollen deshalb immer auch bezüglich eingenommener Medikamente befragt werden.

Rolle der Zahnbürste
Erosive Zahnhartsubstanz ist anfällig für abrasive oder attritive Prozesse. Ohne Erweichung der Zahnhartsubstanz wird beim Zähneputzen bedeutend weniger Schmelz abradiert als beim Vorhandensein einer erosiven Vorschädigung. Aus diesem Grund ist entweder eine weiche Handzahnbürste zu empfehlen oder alternativ eine elektrische Zahnbürste. Diese sollte jedoch druckkalibrierbar sein. Häufig werden sowohl Handzahnbürsten als auch elektrische Zahnbürsten von Patienten falsch angewendet: zu viel Druck und zu ungenaues Putzen führt auf Dauer zu Zahnhartsubstanzschäden. Aus diesem Grund ist eine individuelle Putzanleitung in der Praxis sehr wichtig. Am Ende der Instruktion probiert es der Patient unter Anleitung der Prophylaxefachkraft selbst. So hat das Erlernte auch die Chance, zur häuslichen Gewohnheit zu werden. Selbstverständlich gelten auch bei unseren Erosionspatienten die Regeln der Zahnzwischenraumreinigung – je nach Größe des Zahnzwischenraums sollte das geeignete Hilfsmittel (Zahnseide oder Interdentalraumbürstchen) instruiert werden.

Lebensmittel und Getränke
Schon sehr lange ist bekannt, dass saure Nahrungsmittel und Getränke die Zahnhartsubstanz erweichen können. Dabei nimmt der Anteil von Softdrinks und Fruchtsäften beim Getränkekonsum in Europa stetig zu und liegt bei über 30 % bei den nicht alkoholischen Getränken. Eine Untersuchung bei 14-jährigen Kindern zeigte, dass 80 % der Kinder Softdrinks konsumierten. Mehr als 10 % dieser Kinder tranken mehr als dreimal täglich Softdrinks. Die Erosivität von Lebensmitteln wird aber nicht nur durch die Häufigkeit und den ph-Wert bestimmt, sondern auch durch die Pufferkapazität, die Chelatoreigenschaften und andere Faktoren, wie dem Kalzium- oder Phosphatgehalt. So können beispielsweise Chelatoreigenschaften von Flüssigkeiten durch Interaktion mit dem Speichel den Erosionsprozess beeinflussen. Getränke und Speisen können trotz ähnlicher ph-Werte ein unterschiedliches erosives Potenzial aufweisen. Je größer die Pufferkapazität eines Getränkes oder einer Speise ist, desto länger wird es dauern, bis der ph-Wert durch den Speichel erhöht werden kann. Der Kalzium und Phosphatgehalt eines Getränkes oder Nahrungsmittels ist deshalb sehr wichtig. Kalziumangereicherter Orangensaft zeigt keine Erweichung der Schmelzoberfläche und kann auch erosionsgefährdeten Patienten empfohlen werden. Im Unterschied dazu zeigte sich in nicht kalziumversetztem Orangensaft eine starke Erweichung der Schmelzoberfläche. Was können Patienten zusammengefasst tun, um Erosionen und Abrasionen zu vermeiden?

Zahnpasten und Mundspülungen
Ist das Problem einmal erkannt, ist auch die Mitarbeit des Patienten in der Behandlung entscheidend, denn verloren gegangener Zahnschmelz kann nicht wiederaufgebaut werden. Daher ist es empfehlenswert, den Patienten eine besonders schwach abrasive Zahnpaste mit Fluorid, Zinnchlorid und Chitosan zu empfehlen. Die Zinnionen lagern sich durch ihre positive Ladung als Schicht auf dem negativ geladenen Zahnschmelz an. Dabei werden unlösliche Zinnverbindungen in den erweichten Zahnschmelz eingebaut. Chitosan wird aus Pilzen gewonnen und unterstützt die Bildung der Zinndichlorid-Schicht. Es trägt dazu bei, dass die aktiven Inhaltsstoffe auf den Zähnen verbleiben. Die schützende Zinnschicht au der Zahnoberfläche erhöht die Widerstandsfähigkeit gegen erosive Säureangriffe. Die regelmäßige Anwendung einer Fluorid- und zinnhaltigen Spüllösung sowie eines Fluoridgels haben noch einen zusätzlichen positiven Effekt. Für die häusliche Zahnpflege eignet sich eine weiche Zahnbürste mit einer schonenden Zahnputztechnik. Zur Stimulierung der Speichelfließrate sind zahnschonende (mit Xylitol) Zahnkaugummis oder Lutschbonbons hilfreich. Empfehlenswert ist es, säurehaltige Lebensmittel zu reduzieren und auf möglichst wenige Hauptmahlzeiten zu beschränken. Mittlerweile gibt es viele mit Kalzium und Phosphat angereicherte Getränke und Lebensmittel, die bevorzugt werden sollten. Ein weiterer praktischer Tipp: Säure- und zuckerhaltige Getränke sollten nicht in kleinen Schlückchen über einen längeren Zeitraum konsumiert oder gar durch die Zähne gezogen werden. Zahnoberflächen demineralisieren und erweichen nach dem Kontakt mit sauren Speisen oder Getränken. Mithilfe des Speichels werden die Oberflächen remineralisiert und wieder erhärtet. Um die Resistenz der Zahnhartgewebe gegenüber Abrieb nach erosiven Angriffen zu erhöhen, wurde daher lange empfohlen, dem Speichel ausreichend Zeit zu geben, die Zahnoberflächen wieder zu remineralisieren. Das führte zu der Empfehlung, mit dem Zähneputzen 30 bis 60 Minuten zu warten, nachdem saure Speisen oder Getränke konsumiert wurden. Im Gegensatz dazu wurden in einer epidemiologischen Studie [Bartlett et al., 2013] und einer Fall-Kontroll-Studie [Toole et al., 2017] keine direkten Zusammenhänge zwischen verzögertem Zähneputzen und dem Grad des erosiven Zahnverschleißes festgestellt. An menschlichem Schmelz brachte ein Zuwarten mit dem Zähneputzen nichts im Hinblick auf Zahnhartsubstanzverlust nach erosiven Attacken, beim Rinderzahnschmelz dagegen schon. Einer vorliegenden Metaanalyse aus China[1] zufolge kann allein die Empfehlung, das Zähneputzen nach dem Verzehr erosiver Lebensmittel oder Getränke zu verschieben, den Zahnabrieb nicht verhindern.

Fazit
Erosionen sind multifaktorell und kommen manchmal nicht allein, deshalb müssen diese Patienten in der Praxis professionell vom Zahnarzt und seinem Team begleitet werden. Die Recallfrequenz sollte risikoorientiert erfolgen, hier hat sich die Systematik im System ParoStatus bewährt, die auch den BEWE-Score bewertet und in die empfohlene Recallfrequenz mit einfließen lässt. Während des Recalltermins sollten auch die parodontalen Befunde, Mundhygieneindices und die Kariesdiagnostik mit erhoben werden – also ein wie immer umfassendes Monitoring des Patienten. Nur so kann der IST-Zustand erhalten und weiterer Zahnverlust vermieden werden.

 

 

DH Heike Wilken

 

Quelle

[1] Hong DW, Lin XJ, Wiegand A, Yu H. Does delayed toothbrushing after the consumption of erosive foodstuffs or beverages decrease erosive tooth wear? A systematic review and meta-analysis. Clin Oral Investig. 2020 Dec; 24(12): 4169-4183. doi: 10.1007/s00784-020-03614-9.



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