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Parodontale Sondierung

Parodontitis beruht auf einem multifaktoriellen Geschehen, das in einem empfindlichen Gleichgewicht steht. Im Rahmen einer individuell-abgestimmten und risikoorientierten Patientenbetreuung, bietet ein patientenverständliches Risikomanagement die Chance auf dauerhaft gute Mundgesundheit oder parodontale Stabilität.

Das parodontale Risikomanagement ist ein systematischer Prozess, der mit einer umfassenden Anamnese beginnt. Die spezielle und allgemeine Anamnese – also persönliche und familiäre Dispositionen, Allergien und Vorerkrankungen, die dauerhafte Einnahme von Medikamenten, Rauchverhalten und sonstige für die Mundgesundheit bedeutsame Lebensgewohnheiten, werden dokumentiert. So fügt sich, gemeinsam mit der gründlichen klinischen Untersuchung, ein komplettes Bild zusammen, dass uns die Lage versetzt, den Patient umfassend zu beurteilen, die Behandlung zu planen oder, durch den Vergleich der Befunde, die Behandlungsfrequenz besser zu steuern.
Bedeutung der klinischen Befunderhebung
Parodontale Befunde sind das Fundament der Diagnostik – ohne komplette Befunderhebung ist keine Einstufung in die aktuelle Klassifikation der PA-Erkrankungen möglich. Wichtig ist daher, dass in der Praxis ein einheitliches Vorgehen zur Messung parodontaler Befunde abgestimmt und durchgeführt wird. Zahnärzte, DHs und ZMPs sollten sich in regelmäßigen Abständen „kalibrieren“, um eine Vergleichbarkeit der parodontalen Messwerte zu gewährleisten. Denn die Messunterschiede können ganz enorm sein, wenn z. B. ein anderer Winkel oder Druck gewählt wird.
Funktion der Parodontalsonde
Die Primärfunktion der Parodontalsonde ist die Erfassung parodontaler Taschen, um den Gesundheitszustand des Parodonts zu bestimmen. Bereits im Jahre 1958 beschrieb der Parodontologe B. J. Orban die Parodontalsonde als „Auge des Arztes unter der Gingiva“ und zeigte damit auch die Wichtigkeit einer vollständigen parodontalen Untersuchung auf.
Was ermöglicht uns die Sondierung noch:
  • Erfassen der Sondierungstiefe, Gingivaverlauf und Attachmentverlust für den Parodontalstatus
  • Ertasten überstehender Füllungsränder
  • Ertasten von subginigvalen Konkrementen und subgingivalen Rauigkeiten
  • Blutung als Entzündungszeichen

Die Sonde ist somit das wichtigste klinische Werkzeug, um folgende Parameter zu ermitteln:

  • Sondierungstiefen
  • Rezessionen
  • Attachmentverlust
  • die Breite der befestigten Gingiva
  • Blutungsneigung während des Sondierens – den BOP (Bleeding on Probing).
  • Lockerung (mit zwei Mundspiegeln)
  • Furkationsbeteiligung (mit einer Nabers-Sonde)
  • Ertasten von insuffizienten Restaurationen
Sonden mit unterschiedlichen Scalierungen
Bei der klinischen Befunderhebung ist die Parodontalsonde unser wichtigstes Tool, um Informationen zur Gesundheit oder parodontalen Erkrankung unserer Patienten zu erhalten. Mit anderen Worten, ist das Gewebe gesund oder krank? Eine Parodontalsonde hat ein stumpfes, stabförmiges Arbeitsende, das im Querschnitt kreisförmig ist und Millimetermarkierungen in unterschiedlichen Scalierungen aufweist. Das Arbeitsende und der Schaft treffen sich in einem definierten Winkel, der normalerweise größer als 90 Grad ist. Uns stehen dafür verschiedene Sonden mit unterschiedlichen Millimeter-Einteilungen zur Verfügung. Am besten eignen sich diejenigen mit 1 mm Markierungen über einen Bereich von 15 mm. Dabei sind die Abschnitte zwischen 4 und 5 mm, 9 und 10 mm sowie 14 und 15 mm vollständig schwarz, um eine Orientierung zu ermöglichen und das Ablesen zu erleichtern. Sonden, die in 3 mm lange Abschnitte eingeteilt sind, sollten für eine genaue Messung des Parodontalstatus nicht verwendet werden, da die grobe Einstellung Ablesefehler begünstigt. Parodontalsonden sind bei vielen Herstellern erhältlich – aus Metall oder auch aus Kunststoff für die Anwendung bei Implantaten. Ferner ist auch die klassische WHO-Sonde für die Ermittlung des PSI in jeder Praxis vorhanden, auch diese eignet sich, aufgrund der groben Einteilung, nicht zur Aufnahme eines Parodontalstatus. Es gibt eine Vielzahl international verwendeter Sonden, die letztendlich die bereits genannten Voraussetzungen erfüllen müssen: stumpfes Ende, nicht zu dünner Querschnitt und gut ablesbare Messeinteilung für Zahnarzt/ärztin oder Dentalhygieniker:in. In der klinischen Routine sollte man auf höchste Genauigkeit achten, nur so kann der Behandlungsfortschritt dokumentiert und den Patienten als Erfolg präsentiert werden – denn: Verbesserungen der Befunde motivieren diese und binden sie in den Prozess ein – parodontale Befunderhebung als Motivationsbooster!
Wo wird sondiert?
Die Sondierungstiefe ist ein Maß für die Tiefe eines Sulcus oder einer parodontalen Tasche. Sie wird bestimmt, indem der Abstand vom Zahnfleischrand zum Sulcusboden oder Taschenboden gemessen wird. Diese Messungen werden an sechs spezifischen Bereichen an jedem Zahn durchgeführt und aufgezeichnet:
  • distobukkal
  • medialbukkal
  • mesiobukkal
  • distooral
  • medialoral
  • mesiooral
Warum sechs Messstellen? 
Nun, Parodontitis tritt nicht nur von bukkal an zwei Messstellen auf, sondern rund um den Zahn. Es gibt häufig Fälle, bei denen der Abbau des Parodonts nicht horizontal verläuft. Eine Messung mit nur zwei Messpunkten, beispielsweise von bukkal immer mesial und distal, zeigt dann nur ein unzureichendes und ungenaues Bild der parodontalen Situation. 
Es kann so vorkommen, dass von Bukkal alle Sondierungstiefen unauffällig sind (1–3 mm), sich jedoch von oral ein ganz anderes Bild ergibt – oft zu sehen bei Rauchern. Auch die Morphologie der Zähne spielt eine große Rolle, bei einem Molaren mit drei Wurzeln ist es schon wichtig zu wissen, ob die Furkationen betroffen sind. Deshalb ist eine umfassende 6-Punkt-Messung unumgänglich.
Die Technik 
Eine verlässliche Sondierungstechnik verlangt einen leichten Druck von 0,25 N. Die Distanz, die eine Parodontale Sonde bis zu einem spürbaren Widerstand am Taschenboden zurücklegt, ist von verschiedenen Faktoren abhängig:
  • Durchmesser der Sonde
  • Entzündungsgrad des Zahnfleischgewebes
  • Gewebsfestigkeit des Saumepithels
  • Dichte der bindegewebigen Faserzüge des Zahnhalteapparats

Zuverlässige Ergebnisse erhält man, wenn die Sonde mit „schreitenden“ Bewegungen (Walking-Probe) durch die Zahnfleischtasche/Sulkus geführt wird. Bildlich gesehen wie ein „Spaziergang“, in Auf- und Ab-Bewegungen, in systematischer Abfolge um den Zahn. Der Schaft der Sonde steht dabei in einem Anstellwinkel von circa 10–15 Grad zur Zahnoberfläche, also möglichst parallel zur Zahnachse und berührt die Kontaktflächenbereiche. Einer der wichtigsten Punkte bei der Sondierung ist auch die Abstütztechnik, denn die Sondierung sollte vorsichtig und schmerzarm durchgeführt werden – je besser die Abstützung der Hand, desto besser und reproduzierbarer die Messwerte. Falsche Messwerte ergeben sich, wenn die Parodontalsonde zu steil oder zu flach gehalten wird. Studien haben ergeben, dass Fehlmessungen im Bereich von 0,5–2 mm liegen und somit zu sehr großen Differenzen führen können.

Parameter und Systematiken
Es ist wichtig, nicht nur die Sondierungstiefen aufzunehmen, sondern auch den gesamten Attachmentverlust. Denn ein Zahn, der eine Sondierungstiefe von 
5 mm ohne Rezession aufweist, hat einen nur geringen Attachmentverlust. Hat der Zahn aber, bei gleicher Sondierungstiefe, jedoch eine Rezession von 4 mm, ergibt sich ein Attachmentverlust von 9 mm, was enorm hoch ist. Von daher ist es immer sinnvoll, beides im Blick zu haben und zu messen. Bei allen Messungen kommt es auf Genauigkeit, aber auch auf den Zeitfaktor an. Man kann Sondierungstiefe, Rezession und BOP in einzelnen „Runden“ um den Zahn messen und bewerten. Dabei ist es sinnvoll, immer quadrantenweise vorzugehen, z. B. mit einem Beginn im ersten Quadrant von bukkal. Man startet am Zahn 17 und misst die Sondierungstiefen zunächst von der bukkalen Seite distal, medial und mesial an jedem Zahn. An Zahn 11 mesial angekommen, bleibt der Spiegel in der Wange und wir schauen zu Zahn 17 zurück, um den BOP aufzunehmen. Dieser „Zick-Zack-Kurs“ ergibt Sinn, da sonst die Blutungspunkte des BOP verwischen könnten und so ein ungenauer BOP-Wert ermittelt wird. Der BOP ist bei Parodontalpatienten der aussagekräftigste Blutungsindex, um den Entzündungsgrad zu dokumentieren. Erhoben wird hier der Prozentsatz der Stellen, die bei der Sondierung des Sulkusbodens geblutet haben (Sechs Messpunkte pro Zahn, analog zur Sondierungstiefe). Ist der BOP negativ, kann man von einer parodontalen Stabilität von 98–99 Prozent ausgehen, es sei denn, der Patient raucht. Dann misst man jeden Quadranten weiter durch und dokumentiert den BOP im „Zick-Zack“-Verfahren. Im Anschluss misst man dann denselben Weg nochmals und dokumentiert die Rezession wie bei der Messung der Sondierungstiefe mit ebenfalls sechs Messpunkten. Sind generalisierte Rezessionen vorhanden, empfiehlt es sich, Sondierungstiefen und Attachmentverlust in einer Messung zu dokumentieren. Nachdem die Sonde in die Tasche eingebracht wird, erfolgt das Ablesen der Werte gleichzeitig. Es wird zunächst die ST abgelesen. Die ST ist definiert als Distanz vom Rand der Gingiva zum „sondierbaren“ Taschenboden. Die Sonde verbleibt in der Tasche, es wird dann auch gleich im zweiten Schritt der Attachmentverlust abgelesen. Das ist die Strecke vom Taschenboden bis zur Schmelz-Zement-Grenze. So erhält man in einer Messung den CAL (Clinical attachment level). Um ein möglichst vollständiges Bild der parodontalen Situation zu erhalten, sollte immer an sechs Stellen pro Zahn gemessen werden. Ein weiterer Vorteil ist, da es sich um nur eine Messung handelt, dass die Messfehlerquote deutlich geringer ist. Zur Beurteilung des Ausmaßes parodontaler Destruktion wird daher der klinische Attachmentlevel oder -verlust (CAL) gemessen, der sich auf die Schmelz-Zement-Grenze als fixen Referenzpunkt bezieht. Konstante Messungen des Attachmentlevels erlauben eine Verlaufsbeurteilung und damit eine Aussage, ob es zu einer weiteren Progression der Erkrankung kommt, ob die parodontale Situation tatsächlich stabil bleibt oder ob Attachment teilweise regeneriert werden konnte.
Visualisierung für den Patienten und Dokumentation
Bei der Vielzahl zu erhebender Parameter ist eine gute Verlaufsdokumentation essenziell für eine individuelle und zielgerichtete Patientenführung. Zudem ist es mit der Einführung der PAR-Richtlinie ein Muss: Es werden Befunde mit den Positionen 4, BEVa, ggf. BEVb, UPTd und UPTg erbracht und abgerechnet. Vielfach bereitet es Probleme, den Patienten verständlich und überzeugend zu informieren. Nur ein gut aufgeklärter und überzeugter Patient, der die Befunde und Konsequenzen versteht und akzeptiert, wird dauerhaft mitarbeiten. Hierzu kann eine Visualisierung der erfassten Befunde sowie des individuellen parodontalen Risikos beitragen. Dem zahnärztlichen Team stehen dabei zur Dokumentation der Befunderhebung eine Vielzahl computergestützter Programme zur Verfügung. Als besonders benutzerfreundlich hat sich das durch die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie zertifizierte Programm „ParoStatus.de“ bewährt. Hiermit können alle erhobenen Befunde und klinischen Parameter systematisch und übersichtlich auf einem computergestützten Befundblatt dokumentiert werden. Dies erlaubt zu jeder Zeit eine Verlaufs- und Erfolgskontrolle der Parodontitistherapie. Ergänzend können sowohl das individuelle Erkrankungsrisiko als auch eine empfohlene Recallfrequenz und die Einstufung in die neue Klassifikation mit einem Klick durchgeführt werden. Eine vollständige Dokumentation der klinischen Parameter ist also wichtig, um die Behandlung zu planen und im weiteren Verlauf, durch den Vergleich der Befunde, Entwicklungen zu erkennen und Nachjustierungen der Behandlungsfrequenz vorzunehmen. Mitte 2021 wurde in Deutschland ein vierstufiges PAR-Behandlungskonzept eingeführt, dass den Patienten nach der initialen antiinfektiösen Therapie eine zweijährige Unterstützende PAR-Therapie in der GKV bietet. Aber wie geht es danach weiter? Diese Frage können uns nur die klinischen Befunde beantworten – viele Patienten können wir so stabilisieren und in eine dauerhafte risikoorientierte und privatliquidierte Präventive Parodontitis-Therapie überführen. Ein bestmöglicher Langzeiterfolg kann nur auf Grundlage eines individuellen und strikten Behandlungskonzeptes mit regelmäßiger Befunderhebung erzielt werden. Erst auf dieser Basis kann auch dem parodontal erkrankten Patienten ein langfristiger Erhalt seiner Zähne ermöglicht werden.
Sylvia Fresmann, B.Sc. Dental Hygienist
Titelbild: Adobe Stock, Wavebreak Media Micro


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