Die zahnärztliche Versorgung pflegebedürftiger Menschen wird in Westfalen-Lippe durch eine wegweisende Kooperation strukturell gestärkt. Erstmals arbeiten die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL), die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (ZÄKWL) und der Medizinische Dienst Westfalen-Lippe (MD) eng zusammen, um Versorgungslücken frühzeitig zu erkennen und präventiv zu handeln – zum Wohle der Patientinnen und Patienten.
Frühzeitiger Impuls statt später Schaden
Viele Menschen verlieren beim Übergang in die Pflegebedürftigkeit den Kontakt zur Zahnarztpraxis – häufig, weil Schmerzen fehlen oder der Zugang zu aufsuchender Versorgung unklar ist. Das Risiko: unbehandelte Entzündungen, schlecht sitzende Prothesen, Mangelernährung oder zahnmedizinisch bedingte Krankenhausaufenthalte.
„Wir müssen den Moment nutzen, wenn Pflege beginnt – nicht warten, bis der Schaden da ist“, sagt Dr. Holger Seib, Vorstandsvorsitzender der KZVWL. „Unsere Kooperation mit dem Medizinischen Dienst setzt genau hier an: beim Pflegegradverfahren, wo ein Impuls zum Zahnarztbesuch den entscheidenden Unterschied machen kann.“
Zahnärztliche Versorgung neu gedacht: Interdisziplinär und patientennah
Die neue Zusammenarbeit verankert die Zahngesundheit strukturell in der Begutachtungspraxis des Medizinischen Dienstes. Pflegegutachterinnen und -gutachter erhalten gezielte Hinweise zu typischen zahnmedizinischen Problemen und sensibilisieren Pflegebedürftige sowie Angehörige bereits bei der Einstufung zur Wichtigkeit zahnärztlicher Versorgung.
„Zahnmedizin ist kein nachgelagerter Service, sondern zentral für Lebensqualität und Teilhabe“, erklärt Dr. Gordan Sistig, Präsident der ZÄKWL. „Mit dieser Kooperation bringen wir unsere fachliche Expertise dorthin, wo Pflegebedürftige erreicht werden – auch in der häuslichen Versorgung.“
Starke Wirkung – ohne Mehraufwand für die Patientinnen und Patienten
Rund 75 % der Pflegebedürftigen in Deutschland leben zuhause. Viele sind noch mobil genug für einen Zahnarztbesuch, nehmen diesen jedoch nicht mehr wahr. Genau hier wirkt das neue Modell: Ein einfacher Hinweis, verbunden mit Aufklärung und Motivation, reicht oft aus, um die zahnärztliche Versorgungskette wiederaufzunehmen.
„Wir schauen genau hin, welche Versorgung und Hilfe Pflegebedürftige benötigen und geben wichtige Tipps. Dabei betrachten unsere pflegefachlichen Gutachterinnen und Gutachter stets den ganzen Menschen in seiner speziellen Lebenswirklichkeit und geben Ratschläge zur Verbesserung. Die Mundgesundheit gehört für uns selbstverständlich dazu“, sagt Dr. Martin Rieger, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Westfalen-Lippe.
Vorbild für mehr als nur Westfalen-Lippe
Mit diesem interdisziplinären Ansatz zeigt Westfalen-Lippe, wie zahnärztliche Versorgung in der Pflegepraxis verankert werden kann – nicht erst im Heim, sondern ab dem Moment der Pflegebedürftigkeit. Die Initiative wird unterstützt durch die gemeinsame zahnärztliche Servicestelle für Menschen mit Beeinträchtigungen der zahnärztlichen Körperschaften.
Die Partner sind überzeugt: „Wenn andere Regionen diesem Weg folgen, wird sich die zahnmedizinische Versorgung pflegebedürftiger Menschen bundesweit spürbar verbessern.“
Hintergrundinformationen
- Rund 4,9 Mio. Pflegebedürftige werden in Deutschland zuhause versorgt – viele davon ohne geregelte zahnärztliche Betreuung (Statistisches Bundesamt, 2024).
- Laut der aktuellen Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS VI) ist die Karieserfahrung bei 65- bis 74-Jährigen weiterhin hoch, schwere Parodontalerkrankungen betreffen rund 20 % dieser Altersgruppe.
- Die neue Kooperation ergänzt bestehende Kooperationsverträge mit stationären Einrichtungen um einen wichtigen Baustein: die zahnärztliche Aktivierung bei Pflegebeginn.
Quelle: Kassenzahnärztliche Vereinigung und Zahnärztekammer WL
Bild: Adobe Stock, megaflopp
KEINE KOMMENTARE