Was haben Dachdecker und zahnmedizinisches Personal gemeinsam? Richtig, häufig sind es die Rückenschmerzen. Wer bereits unter Rückenschmerzen leidet, weiß wovon ich spreche und sollte unbedingt weiterlesen. Wer bisher von diesem Problem noch nicht oder nur in geringem Umfang betroffen ist, sollte vorbeugend auf verschiedenen Ebenen tätig werden und ebenfalls weiterlesen.
Die Arbeitsweise in der Praxis ist gekennzeichnet von wenigen Veränderungen in der Haltung und kaum Bewegung – meist in einem engen Radius am Patientenstuhl. Da unsere Behandlungen gut geplant sind, wird unser Arbeitsfluss in der Regel nur durch einige wenige, kurze Schritte unterbrochen. Meist wird langanhaltende statische, bewegungsarme Haltearbeit geleistet, die mit einer Dauerteilbelastung einzelner Abschnitte des Bewegungsapparates verbunden ist. Das Arbeitsfeld am Patienten ist oft schlecht zugänglich und erzwingt einen begrenzten Einblickswinkel, vor allem, wenn der Patient auch noch schlecht gelagert ist. Diese beruflichen Arbeitsabläufe mit jahrelangen Wiederholungen verursachen oft zunächst lokale Probleme und Schmerzen, dann funktionelle Beschwerden und schließlich bleibende Schäden am Skelett- und Muskelsystem, die die Berufsausübung hemmen können. Neben den persönlichen Einschränkungen des bzw. der Erkrankten sind auch die Kollegen und Kolleginnen betroffen. Behandlungen müssen abgesagt oder verschoben, Arbeitsbereiche umorganisiert werden, so entstehende Lücken, die, sofern möglich, gefüllt werden müssen. Arbeits- bzw. Personalausfälle bringen zudem Verdienstausfälle und Unzufriedenheit mit sich. Hinzu kommt, dass solche Ausfälle kein Einzelfall bleiben und die Diagnose nicht selten schwierig und recht langwierig ist. Zur oben bereits angesprochenen „Vorgeschichte“ gehören auch schmerzauslösende oder verstärkende Faktoren in der Praxis, die relativ einfach abgestellt werden können, wenn man sie einmal identifiziert hat. Aber der Reihe nach: Schauen wir uns mal einen ganz normalen Arbeitstag an.
Es ist Dienstag. Schon nach 2 Patienten hat die Prophylaxefachkraft Sabine einen steifen Nacken, kurz vor 11.00 Uhr macht sich der Rücken bemerkbar, bei der letzten Sitzung vor der Mittagspause kribbelt es schon in der Hand – die Zahnsteinablagerungen und Beläge der letzten Patientin waren aber auch wirklich schwer zu entfernen. Außerdem war die Sicht nicht gut. Die Sitzung hat länger gedauert als geplant, also fällt die Mittagspause kürzer aus. Pünktlich um 13.45 Uhr geht es weiter, der nächste Patient wartet schon. Eigentlich fühlt sich Sabine schon müde, der Rücken schmerzt, es kommen heute Nachmittag aber noch 4 Patienten.
19.00 Uhr: Der letzte Patient hat die Praxis verlassen, Sabine fühlt sich schlapp, die Schulter schmerzt, der Nacken ist verspannt – jetzt wäre frische Luft genau das richtige. Eigentlich wollte sie noch mit dem Fahrrad einen Runde drehen, aber jetzt hat sie keine Lust mehr. Wir alle haben einen „Alltag“ und bewegen uns in Gewohnheiten, die wir alle schwierig ändern können – aber es lohnt sich immer, schlechte Gewohnheiten abzulegen. Ich denke dabei in erster Linie an über Jahre hinweg ungünstige Arbeitshaltungen, schlechte Patientenlagerung und suboptimales Equipment, wie z.B.
Arbeitsstühle, Lupenbrillen, Beleuchtung, Lichtquellen etc.
Patientenlagerung
Der Schlüssel für eine gesunde Arbeitshaltung und effektive Abstütztechnik liegt in der Patientenlagerung. Die optimale Patientenlagerung hat 2 Funktionen: entspannte Lagerung für den Patienten und die Schaffung günstiger Arbeitsmöglichkeiten für die Behandlerin/den Behandler. Für die optimale Oberkiefer-Lagerung läuft eine gedachte Verbindungslinie zwischen Kopf und Füßen parallel zum Fußboden – das heißt Kopf und Füße liegen auf einer Höhe. Um für den Patienten diese Lage bequemer zu machen, empfiehlt es sich, mit einer Knierolle die Knie des Patienten anzuheben, so gerät er nicht ins Hohlkreuz. Der Kopf ist richtig gelagert, wenn die Kauflächen der OK-Zähne im rechten Winkel zum Fußboden stehen. Bei der Unterkiefer-Lagerung liegen die Füße ein wenig tiefer und das Kinn des Patienten wird etwas auf die Brust genommen – so sind dann die Kauflächen der UK-Zähne annähernd parallel zum Fußboden. Jetzt kann der Arbeitsstuhl entsprechend auf die optimale Höhe eingestellt werden und der Rücken muss nicht mehr verdreht werden. Ein Tipp: Lasst Eure Patienten schon in einer schrägen Stuhlposition einsteigen, dann ist der Weg, den der Stuhl zurückfährt nicht so lang.
Arbeiten in der 10-Uhr-Position
Von entscheidender Bedeutung ist die Sitzposition in Bezug zum Patienten. Ich beobachte sehr häufig, dass Behandler:innen, die einen Großteil ihrer Tätigkeit von der 10-Uhr-Position aus erbringen, über mehr Erkrankungen des Bewegungsapparates klagen – oft in der linken Schulter, im Arm und in der Hand. Die Gründe sind einfach nachzuvollziehen: Wenn sie in der 10-Uhr-Position arbeiten, führen sie ihre Arme über die Brust oder Stirn des Patienten. Wegen des geringen Abstandes beugen sie sich auf der einen Seite vor, um die Mundhöhle inspizieren zu können, dabei wird der Patient oft auch zu hoch positioniert, was ebenfalls dazu führen kann, dass sie mit angehobenen Armen arbeiten. Durch eine solche Haltung wird nicht nur der Schultergürtel extrem angespannt, sondern auch die Lendenwirbelsäule einseitig belastet. Die 12 Uhr-Position hingegen wird selten genutzt, jedoch ermöglicht sie eine neutrale Körperhaltung des Behandlers/der Behandlerin mit angelegten Armen und vermeidet weitgehend Fehlhaltungen. Haltet Euch immer wieder die möglichen Konsequenzen vor Augen, dann fällt es nicht mehr so schwer, langjährig erworbene Fehlhaltungen zu korrigieren. Mein Tipp: Nutzt den ganzen Radius rund um den Patientenkopf, um immer mit einem geraden Rücken zu arbeiten. Durch eine korrekte Patientenlagerung und eine gute Arbeitshaltung habt Ihr außerdem einen besseren Zugang zum Arbeitsgebiet und eine viel bessere Sicht.
Sattelstuhl
Im Zusammenhang mit der Körperhaltung des Behandlers schlage ich meinen Teilnehmern vor, auch mal einen Sattelstuhl als Arbeitsstuhl zu probieren. Der Sattelstuhl vereinigt einige ergonomische Vorteile:
- aufgrund seiner ergonomischen Form sitzt man in einer aufrechten und für die Hüftgelenke vorteilhaften stabilen Position
- die aufrechte Wirbelsäulenhaltung fördert die korrekte Kopfhaltung
- die Zwerchfellatmung wird verbessert – die Durchblutung der Beine wird nicht behindert
Aufgrund der Bedeutung und möglichen negativen Folgen empfehle ich regelmäßig entsprechende Inhouse-Schulungen in der Praxis. In vertrauter Umgebung, mit den täglichen Gegebenheiten sollten unter Kontrolle eines erfahrenen Trainers die korrekte Arbeitshaltung, eine korrekte Patientenlagerung und sachgerechte Abstütztechniken vorgeführt und gegenseitig geübt werden – denn auch im Zahnmedizinstudium werden diese Themen nur gestreift.
Lupenbrille
Schlecht oder gar nicht angepasste Lupenbrillen können ebenfalls, aufgrund der Belastung der Halswirbelsäule, zu erheblichen Nackenschmerzen führen. Hier ist die Kopfhaltung bzw. der Neigungswinkel des Kopfes des Behandlers/der Behandlerin das Problem. Eine Neigung um mehr als 20° ist ungünstig. Dieser Neigungswinkel ist häufig der Form und dem Gewicht der Lupenbrille geschuldet. Probiert das Modell aus und lasst Euch unter Hinweis auf das Neigungswinkelproblem fachkundig beraten. Meine gut angepasste Lupenbrille möchte ich nicht mehr missen – natürlich auch mit zusätzlichem Licht.
Präventionsmaßnahmen
Nicht selten werde ich gefragt, welche Präventionsmaßnahmen sollte man ergreifen und mit welchen zusätzlichen Maßnahmen Rückenschmerzen begegnen, wenn das „Kind schon in den Brunnen gefallen ist“. Nun, Prävention ist immer gut, das wissen wir aus unserem Fachbereich! Prävention in diesem Flle wäre Sport – Rückenschule und Sportarten, bei denen Rücken und Bauch trainiert werden – Ja, Ihr lest richtig: Auch der Bauch muss trainiert werden, wenn der Rücken gestärkt werden soll. Wäre da nicht Günter. Ihr kennt Günter, den kleinen Schweinehund, nicht? Er ist Schuld, wenn, wie in unserem Beispiel des Arbeitstages von Sabine, nach der Arbeit kein Sport mehr getrieben oder das Sofa dem Fahrrad vorgezogen wird. Überlegt Euch im Team, Günter zu überlisten und verabredet Euch zum Beispiel mit Kolleginnen zum abendlichen Sport – in der Gruppe macht es sowieso mehr Spaß!
Haben sich die falschen Bewegungsmuster etabliert und treten die Rückenschmerzen täglich auf, sollte das zunächst untersucht werden. Orthopäden arbeiten hier mit Physiotherapeuten zusammen und können nach einer ausführlichen Diagnostik einen Behandlungsplan erstellen.
Wie gesagt, eine genaue Diagnose ist manchmal reinste Sisyphusarbeit. Aber das ist für uns in unserer täglichen Praxis nichts Ungewöhnliches. Schildert genau, welche Probleme, anlässlich welcher Tätigkeit, wo und wie auftreten. Schildert auch Eure Behandlungssituation bzw. die tatsächlichen alltäglichen Gegebenheiten möglichst genau, um der Ursache möglichst schnell auf die Spur zu kommen. Parallel dazu sollte natürlich auch an den Bedingungen und den Arbeitsgewohnheiten gearbeitet werden, um so gesunde Bedingungen zu schaffen.
Die korrekte Patientenlagerung, eine rückenschonende Arbeitshaltung und eine professionelle Abstütztechnik können und müssen erlernt und trainiert werden. Die Argumentation, das geht schon, das habe ich immer so gemacht, ich kann mich nicht mehr umstellen, wird mit ziemlicher Sicherheit zu den o. g. Problemen führen. Schmerzen und krankheitsbedingte Ausfalltage müssen nicht sein und können verhindert werden.
Unter präventiven Gesichtspunkten empfehle ich regelmäßig, dass sich auch Kollegen und Kolleginnen die (noch) nicht unter Rückenschmerzen leiden, mit dieser wichtigen Thematik auseinandersetzen. Für mich sind arbeitsbedingte Rückenschmerzen keine zwangsläufige Folge unseres Berufes. Mit den richtigen Maßnahmen seid Ihr auf dem sicheren Weg in eine gesunde berufliche Zukunft.
Sylvia Fresmann
Dental Hygienist B.Sc.
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