Ein Blick in einen Kindermund kann einer ZFA schon viel über den kleinen Patienten verraten: Zum Beispiel, ob er gern Süßigkeiten isst oder wie genau er es mit der Mundhygiene nimmt. US-amerikanische Wissenschaftler haben jetzt aber noch etwas anderes herausgefunden: Danach lässt sich schon an den Milchzähnen erkennen, ob die Kinder später ein Risiko haben, psychisch krank zu werden.
Die Psychiaterin Dr. Erin Dunn vom Massachusetts General Hospital in Boston hat für ihre Studie die Milchzähne von 37 Kindern im Alter von sechs Jahren untersucht. Außerdem wurden die Eltern und Lehrer zum Verhalten dieser Kinder befragt. Das Ergebnis: Kinder mit einem dünnen Zahnschmelz neigen auch häufiger zu Verhaltensweisen wie Aggressivität, Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit oder impulsivem Verhalten – alles Anzeichen, die darauf hinweisen könnten, dass die Kinder ein erhöhtes Risiko haben, psychisch zu erkranken.
Weist ein dünner Zahnschmelz auf Stress im Kindesalter hin?
In einem Vortrag beim Jahreskongress der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Washington stellte Dunn ihre Forschungsergebnisse vor. Eine weitere Erkenntnis: Da sich die Milchzähne schon vor der Geburt im Mutterleib entwickeln, weist die Schmelzdicke auch auf Traumata, Stress und die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft hin.
Aber auch der Stress, dem ein Kind in den ersten Jahren nach der Geburt ausgesetzt ist, lässt sich an den Milchzähnen ablesen. Denn die einzelnen Schichten, aus denen der Zahnschmelz besteht, entwickeln sich erst nach und nach – vergleichbar mit den Jahresringen eines Baumes. Sie sind dicker oder dünner – je nach Belastung des Kindes. Dabei kann der Stress beispielsweise darin bestehen, mit der Scheidung der Eltern oder ständigem Streit zu Hause umzugehen – er kann aber auch auf Missbrauch, Mangelernährung oder ständigen Lärm hinweisen. All diese Faktoren lassen den Pegel des Stresshormons Cortisol ansteigen – und das beeinflusst die Entwicklung der Zähne und lässt sich auch noch nach Jahrzehnten am Gebiss ablesen, berichtete Thomas Boyce, Gesundheitspsychologe an der University of California (San Francisco) in seinem AAAS-Vortrag.
Milchzähne sind wichtige Indikatoren für psychische Belastungen
“Die Milchzähne können wertvolle Hinweise darauf geben, unter welchen Bedingungen ein Kind seine frühen Lebensjahre verbracht hat”, erklärt Dunn den Zusammenhang zwischen Milchgebiss und psychischer Gesundheit. Das mache die Zähne zu einem Biomarker dafür, wie hoch das Risiko des Kindes sei, später an Depressionen, Essstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen zu leiden: Denn viele dieser Erkrankungen haben laut Dunn keine genetische Ursache, sondern werden durch Erfahrungen ausgelöst, die ein Mensch in der Kindheit mache. Und: Anders als an Blut- oder Speichelproben können die Wissenschaftler an den Zähnen auch den Zeitpunkt erkennen, wann ein Kind den Stress oder das Trauma erlitten hat.
Ein wissenschaftlicher Schatz in den Kinderzimmern
Die Forscher hoffen nun, dass die Zähne künftig als Indikator dafür herangezogen werden, ob jemand ein höheres Risiko für eine psychische Erkrankung hat. Die Betroffenen könnten schon vorbeugend psychologisch betreut werden, bevor die Krankheit tatsächlich ausbricht. Allerdings ist Dunn und ihren Mitstreitern auch der Schwachpunkt der Studie bekannt: Weil nur 37 Kinder untersucht wurden, kann sie bislang noch keine repräsentativen Aussagen machen. Das bedeutet aber auch: In vielen Kinderzimmern schlummert ein wissenschaftlicher Schatz. Denn viele Eltern heben die Milchzähne ihres Nachwuchses als Erinnerung auf. Und eigentlich sind diese Zähne doch viel zu schade dafür, jahrzehntelang in kleinen Döschen zu schlummern.
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