Anzeige
Zahnärztliche Frühuntersuchungen

Vorsorge ab dem ersten Zahn

Seit dem 1. September 2016 enthält das „Gelbe Heft“ (Kinderuntersuchungsheft) auch Hinweise auf zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen. Experten erklären, warum die Früherkennungsuntersuchungen ab dem 6. Lebensmonat sinnvoll sind und welche Herausforderungen auf das Praxisteam warten.

Nur gepflegte Zähne sind auch gesunde Zähne. Daher sind regelmäßige zahnärztliche Kontrollen so wichtig. Den ersten Zahn bekommen Säuglinge durchschnittlich mit sechs bis acht Monaten. Bisher tragen gesetzliche Krankenkassen die Kosten für zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen aber erst ab dem 30. Lebensmonat des Kindes. Im vergangenen September wurde ein Vorstoß in Richtung frühzeitiger Vorsorge gemacht: Nun enthält das Gelbe Kinderuntersuchungsheft, das die ärztlichen Untersuchungen von der Geburt bis zum 6. Lebensjahr als U1 – U9 dokumentiert, insgesamt sechs Verweise ab der U5 zum Zahnarzt.

Mit diesem neuen Verweissystem sollen Eltern frühzeitig auf die Notwendigkeit zahnärztlicher Untersuchung ab dem ersten Zahn aufmerksam gemacht werden. „Die bisherige oralpräventive Betreuung allein durch den Kinderarzt in den ersten drei Lebensjahren reicht offensichtlich zur Senkung des Erkrankungsrisikos nicht aus“, begründete Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV, die Entscheidung für das neue Verweissystem. „Nach wie vor weisen etwa 15 Prozent aller Kinder unter drei Jahren in Deutschland eine Frühe Milchzahnkaries (Early Childhood Caries = ECC) auf. Das heißt, sie haben im Alter von unter drei Jahren im Durchschnitt bereits vier kariöse Läsionen.“ Annähernd die Hälfte aller Kinder hat bei Schuleintritt ein paar Löcher in den Zähnen.

Unterstützung von Anfang an

In sozialen Brennpunkten geht Eßer sogar von einer Prävalenz von 35 Prozent und mehr aus. „Zwei Prozent der Kinder vereinen 52 Prozent des Kariesbefalls auf sich“, schildert Eßer. Karies ist damit nach wie vor die häufigste chronische Erkrankung im Kleinkindalter. Sie entsteht aus der Kombination häufiger Zuckerimpulse durch das Dauernuckeln mit mangelnder Plaqueentfernung durch die Eltern. „Diese putzen in diesen Fällen die Kinderzähne gar nicht, nur phasenweise oder einfach unzureichend“, sagt Dr. Andrea Thumeyer, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH).

„Karies entsteht unter der intakten Schmelzoberfläche“, schildert Thumeyer. Die initiale Karies ist als weißer Fleck auf dem Zahn für die Eltern nicht unbedingt als Karies erkennbar. „Eine Karies kann entstehen, sobald das erste Stückchen eines Zahns im Mund zu sehen ist. Eltern müssen daher die Zähne ihres Kindes von Anfang an weitgehend plaquefrei putzen.“ Auch deswegen ist der frühzeitige Besuch beim Zahnarzt so wichtig. Denn neben der Inspektion von Zähnen und Kieferentwicklung erhalten die Eltern viele hilfreiche Informationen, damit sie von Anfang an mit allen Themen rund um den Kindermund richtig umgehen können.

Werden die FUs Kassenleistung?

„Unser Ziel ist, dass möglichst alle Kinder mit einer frühkindlichen zahnärztlichen Untersuchung erreicht werden. Dazu gehört aber neben den Verweisen vom Arzt zum Zahnarzt auch eine Erweiterung des bisherigen Leistungskatalogs“, erklärt Eßer und meint damit die Maßnahme, die FUs als allgemeine Kassenleistung zu implementieren. Die Beratungen zur konkreten Ausgestaltung laufen derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss. Eßer: „Leider gestalten sich die Beratungen schwierig, da die Krankenkassen bislang nicht von ihrer Forderung von evidenzbasierten Nachweisen zur Ausgestaltung der Untersuchungen abgerückt sind, obwohl der gesetzliche Auftrag klar ist. Diese Verzögerung geht allein zulasten der betroffenen Kinder und ist aus Sicht der KZBV vollkommen inakzeptabel.“

Nach Angaben der KZBV werden sich die Beratungen noch mindestens ein Jahr hinziehen. Einige wenige Kassen übernähmen die Frühuntersuchungen aber schon jetzt.

Kinder- und Jugendärzte sind von der Sinnhaftigkeit der neuen frühzahnärztlichen Untersuchungen nicht überzeugt. „Den neuen Text halten wir Kinder- und Jugendärzte für überflüssig“, so Dr. Burkhard Lawrenz, Vorsitzender des Landesverbands Westfalen-Lippe im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ). „Denn es ist eine Selbstverständlichkeit, dass bei Auffälligkeiten an Zähnen, Mundschleimhaut oder Kieferwachstum, die wir für abklärungs- oder behandlungsbedürftig halten, schon immer ein Verweis an den Zahnarzt oder Kieferorthopäden erfolgt, wenn wir selbst mit dieser Aufgabe fachlich überfordert sind.“

Er sieht aber auch Verbesserungsbedarf beim bisherigen Prozedere.
„Sinnvoll wären eine erste zahnärztliche Früherkennungsuntersuchung mit zwei Jahren sowie weitere Seiten im Untersuchungsheft nach den Vorsorgeuntersuchungen U7, U7a, U8 und U9, auf denen der Zahnarzt seinen Befund dokumentieren kann. Durch diese Rückmeldung wären wir besser informiert und könnten die Familien noch gezielter ansprechen, die die zahnärztliche Vorsorge nicht wahrgenommen haben, aber zur nächsten Untersuchung wieder zu uns kommen.“

Die FUs sind da – auf was muss sich das Praxisteam vorbereiten?

„Wenn das Praxisteam die Patientengruppe U3 nicht aufnehmen möchte, weil die Praxis andere Schwerpunkte hat, dann kann sie das zahnärztliche Untersuchungsheft den Eltern als Informationsbroschüre mitgeben und auf geeignete Zahnärzte verweisen“, erklärt Thumeyer. Die zahnärztlichen Untersuchungshefte sind bei der zuständigen Landeskammer erhältlich. Je nach Kammer müssen die Praxen wenige Euro dafür zahlen, bei einigen sind die Hefte aber kostenfrei bestellbar.

Bei so kleinen Kindern wie unter Dreijährigen ist es wichtig, dass die Wartezeit möglichst kurz gehalten wird. Der Anamnesebogen sollte bereits zu Hause ausgefüllt werden, denn häufig sind die Eltern aufgeregt, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Der Bogen sollte neben den Sozialdaten, der medizinische Anamnese und dem Grund des Besuchs auch das bisherige zahnmedizinisch relevante Ernährungs- und Zahnputzverhalten erfassen ebenso wie die Fluoridnutzung. Zusätzlich können auch Erwartungen oder Ängste erfragt werden. Der Erstkontakt zum Kind erfolgt über die Eltern, denn altersgemäß sind die Eltern die Bezugspersonen, das Praxisteam ist und bleibt fremd. Nach der kurzen Wartezeit sollte eine freundliche Kollegin den neuen Patienten auf dem Arm seiner Begleitperson hereinführen.

Wichtig zu beachten ist, dass schüchterne Kinder nicht zu forsch adressiert werden, wohingegen aufgeschlossene Kinder direkt angesprochen werden können. Unter Dreijährige sitzen oder liegen meistens auf dem Schoß ihrer Eltern. Dort sollten sie platziert werden, bis der Behandler kommt. Außerdem gilt generell: Kinder brauchen Zeit zur Orientierung im Behandlungszimmer, mehr Zeit, als

Erwachsene glauben.

Tipps für die Eltern zu Hause

Natürlich ist es auch sinnvoll und wichtig, den Eltern nach der Behandlung entsprechende Mundpflegetipps für ihr Kind mit auf den Weg zu geben.
Zu diesen Tipps für unter Dreijährige gehören:

  • Mundpflege ist noch keine strenge Hygienemaßnahme: Thumeyer empfiehlt: „Hauptsache, die Zahnbürste mit fluoridhaltiger (!) Zahnpasta war an allen Zähnen, und das von allen Seiten!“

  • Trinken aus dem offenen Becher: „Das Trinken aus dem offenen Becher fördert die physiologische Zungenruhelage und ein funktionelles Schlucken. Das ist wichtig fürs Abbeißen und Kauen, für eine klare und deutliche Aussprache u.v.m. Kinder, die sich richtig hören, haben auch eine bessere Sprachreproduktion“, erklärt die Expertin. Sobald das Kind sitzen kann, kann es das Trinken aus dem offenen Becher üben.
  • Dauernuckeln von süßen Getränken vermeiden: Eltern sollten die Nuckelflasche mit zuckerhaltigem Inhalt niemals zu Selbstbedienung dem Kind überlassen.
  • Schnuller vermeiden: Denn: „Durch das Dauernuckeln (mehr als acht Stunden täglich), kommt es zu einer falschen Zungenruhelage“, so Thumeyer.
  • Naschen in Maßen: Zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke sollten nicht über den ganzen Tag verteilt gegessen, sondern bewusst nach dem Mittagessen oder am Nachmittag genascht werden dürfen. Die Menge ist das, was in die Hand eines Kindes passt.
  • An Wassertrinken gewöhnen: Geschmack wird anerzogen. Die Eltern sollten das Kind also schon früh an das Wassertrinken gewöhnen. Dann wird das Wasser automatisch zum bevorzugten Getränk und schmeckt den Kindern.
  • Kauen auf der Zahnbürste zulassen: Bis das Kind etwa zweieinhalb Jahre alt ist, wird es auf der Zahnbürste nur herumkauen, das ist altersgemäß und sollte zugelassen werden.
  • Stillen prägt das Geschmacksverhalten: Durchs Stillen lernt das Kind schon über die Muttermilch geschmackliche Vielfalt kennen und wird dadurch später Lebensmittel schneller akzeptieren.

Zusätzlich sollten die Eltern während eines Mundhygienetrainings instruiert werden, wie sie die Zähne ihres Kindes richtig putzen. Thumeyer: „Die Eltern müssen praktisch im Kindermund angeleitet werden. Sie müssen lernen, in den Kindermund zu schauen, damit sie nicht mit der Zahnbürste ‚im Dunkeln fuchteln‘, sondern den Zahnbelag am Zahnfleischrand wirklich entfernen. Das sollte dem Kind angenehm sein.“ Das Kind sollte am besten liegend gelagert werden, da dies einen besseren Einblick für die Eltern ermöglicht und es das Kind für zukünftige zahnärztliche Behandlungen trainiert. Während des Putzens ist es wichtig, dass die Lippen und Wangen abgehalten werden, so können die Eltern systematisch die Kau-, Außen- und Innenflächen aller Zähne reinigen. Das sollten die Eltern an Ort und Stelle sofort selbst ausprobieren. So kann das zahnärztliche Fachpersonal Rückfragen beantworten und auf Fehlerquellen hinweisen.

Das Kind und die Eltern sollten immer positiv verabschiedet werden. Der kleine Patient sollte für die gute Kooperation und seine schönen Zähne gelobt werden und je nach Alter ein kleines Spielzeug mit nach Hause nehmen dürfen. Das konditioniert den Zahnarztbesuch positiv. Mit den Eltern sollte bereits jetzt mithilfe des zahnärztlichen Kinderuntersuchungshefts der Folgetermin vereinbart werden.

Weitere Informationen

Einen sehr detaillierten, bebilderten Ratgeber zu zahnärztlichen Frühuntersuchungen haben die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung herausgebracht. Dieser kann hier kostenlos heruntergeladen werden. Viele Tipps zur Weitergabe an die Eltern finden Sie zusätzlich auf der Homepage der hessischen Jugendzahnpflege unter www.jugendzahnpflege.hzn.de.



Ähnliche Artikel

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich stimme den Allgemeinen Nutzungsbedingungen sowie Datenschutzbestimmungen zu, die ich hier eingesehen habe. *