Zähne putzen per App: Immer mehr Firmen, Start-ups und Versicherungen bringen Anwendungen auf den Markt, die Kinder zum Putzen motivieren sollen. Doch ist das nötig? Wie beurteilen Experten die Anwendungen?
Die Digitalisierung macht auch vor unserer Badezimmertür nicht halt: Geht es nach den Entwicklern von „Zahnputz-Apps“, komplettiert zukünftig unser Smart‧phone Zahnbürste und -pasta als Rüstzeug für gepflegte Zähne. Vor allem Kinder sollen von zahlreichen Anwendungen profitieren und durch bunte Fantasiewelten zum Zähneputzen animiert werden. Doch welchen Mehrwert haben die digitalen Angebote für Patienten? Was sind Vorteile? Wo gibt es Mängel? „Positiv ist in jedem Fall, dass das Thema Zahngesundheit überhaupt thematisiert und den Kindern ins Gedächtnis gerufen wird“, sagt Melina Atefi, Kinderzahnärztin in der Praxis „Nemo am Ring“ in Köln. „Darüber hinaus ist die Herangehensweise zeitgemäß und so auch für die Kinder interessant.“
Richtiges Wissen, positive Erfahrungen
Dr. Johan Peter Wölber hat sich in wissenschaftlichen Projekten mit der Wirksamkeit von Onlinespielen zur Förderung des Mundgesundheitsverhaltens beschäftigt. „Ich denke, dass beide digitalen Werkzeuge, ob App oder Computerspiel, geeignet sein können, Mundhygieneverhalten positiv zu beeinflussen. Wichtig ist, dass ein ‚Flow‘-Gefühl beim Spielen entsteht und dass richtiges Wissen und positive Erfahrungen vermittelt werden.“ Losgelöst von der Art der App erklärt Wölber, was eine App oder ein Spiel leisten sollte: „Es ist wichtig, dass der Spieler im Spiel auch selbst erfolgreich Mundgesundheitsverhalten thematisieren kann.“ Denn psychologische Variablen wie die Selbstwirksamkeit könnten durch Modelllernen wie beispielsweise Abschauen, aber noch stärker durch eigene erfolgreiche Erfahrungen gesteigert werden.
Um darüber zu urteilen, welche App die geeignetste ist, muss vor allem das jeweilige Alter des Kindes betrachtet werden. Artefi: „Die Frage, die man sich im Vorfeld stellen muss, ist, was diese App leisten soll. Geht es um spielerische Ablenkung der ganz Kleinen oder sollen die schon etwas Älteren zum richtigen Putzen animiert werden?“ Denn um dazu befähigt zu sein, die richtige, also die von Zahnärzten empfohlene KAI-Technik anzuwenden, erscheint frühestens das Vorschulalter als realistisch.
Die bekanntesten Putz-Apps beziehungsweise -Gadgets sind die Playbrush mit dazugehöriger App, die Sonicare-Zahnbürste plus App, der Oral-B Magic-Timer und die Ergo-App. Die Playbrush ist ein elektrischer Aufsatz, der auf jede Zahnbürste gesetzt werden kann. Der Aufsatz vermittelt die Zahnputzbewegungen via Bluetooth an ein Smartphone oder Tablet. Mithilfe der passenden App auf dem Endgerät bekämpfen die Kinder dann mit ihren Bewegungen fiese Monster.
Die Sonicare-Zahnbürste basiert auf demselben Prinzip, auch hier werden die Bewegungen über Bluetooth übertragen. Die Story ist jedoch eine etwas andere: Hier wählen die Kinder einen Charakter, der sie durch die App führt und dadurch zu einer Art „Zahnputz-Buddy“ avanciert.
Der Oral-B Magic Timer ist eine Art „Zahnputzuhr“, die zwar die Zeit des Putzens erfasst, bei der es aber nicht auf die Putztechnik ankommt. Bei der App „PutzHelden“ der Ergo-Versicherung wird dem Kind zunächst anhand eines Erklärfilms gezeigt, wie man nach der KAI-Methode Zähne putzt. Danach wird auch wieder zahnschädigenden Monstern das Handwerk gelegt.
Beim Oral-B Magic Timer und der „PutzHelden“-App muss kein Zusatzmaterial gekauft werden, sie sind beide kostenlos erhältlich. Laut Atefi sind die Sonicare- und die Ergo-App für Kinder im Vorschulalter am besten geeignet, da die Apps die Mundhöhlen widerspiegeln und Kinder so die KAI-Technik besser verinnerlichen. Gehe es aber nur um die Ablenkung von Kleinkindern, biete sich der sehr simpel gehaltene Oral-B Magic Timer an oder auch die Playbrush-App, die nicht die richtige Zahnputztechnik zeigt und daher auch eher als Motiva‧tion für sehr junge Kinder zu sehen ist. Doch unabhängig davon, welche App benutzt wird: Eine Kontrolle via Kamera oder Bluetooth ist in den meisten Fällen unzureichend und kann keinesfalls die Aufsicht und das Nachputzen durch die Eltern ersetzen.
Wissenschaftliche Studie
Eine erste wissenschaftliche Studie zum Thema App als Motivationshelfer beim Zähneputzen wurde Ende 2016 vorgestellt. Das Autorenteam um Dr. Anja Treuner, OA Dr. Mohammad Alkilzy, Dr. Margarita Höfer und Prof. Christian Splieth von der Uni Greifswald erhielt dafür einen der Wrigley-Prophylaxe-Preise. „Für die Studie wurde die App der Handzahnbürste Rainbow von der Firma Vigilant genutzt“, schildert Prof. Dr. Christian Splieth. Im Griff befindet sich ein digitaler Bewegungsmesser mit einer 3D-Sensorik, der in Echtzeit den Zahnputzbewegungen des Kindes folgt, die über Bluetooth an ein Smartphone weitergeleitet wird. Sechs Wochen lang benutzten die Kinder die App. Das Ergebnis: Sie wiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe um 43 Prozent verringerte Zahnbeläge auf, und auch ihr Zahnfleischbluten reduzierte sich um 33 Prozent.
Die Studie konnte zeigen: Apps können bei regelmäßiger Nutzung die Zahnpflege von Kindern verbessern. Splieth bemerkt aber: „Es gibt viele Hinweise, dass gerade die konstante Medien- beziehungsweise Smartphonenutzung eher ablenkt als nützt. Deswegen war uns die wissenschaftliche Begleitung so wichtig.“
Darüber hinaus „sollte auf jeden Fall bedacht werden, dass der dauerhafte Nutzen der Apps fraglich ist, da sie auf Dauer sicher langweilig werden“, so Atefi. Generell empfiehlt die Expertin, eher auf althergebrachte Methoden wie Zahnputzlieder oder -geschichten zurückzugreifen. „Die sind viel persönlicher, denn sie lassen sich immer verändern und individualisieren und bleiben Kindern daher sicher positiver in Erinnerung.“
Zudem gibt Wölber zu bedenken: „Gerade mit Zunahme der Digitalisierung wird der wahre, menschliche Kontakt immer wichtiger.“ Er sieht aber auch Potenzial in den digitalen Angeboten: „Ich denke, dass diese Spiele, ob per App oder Computerspiel, Motivationshelfer und Kommunikationsförderer werden können. Das zahnärztliche Team kann über solche Spiele einen einfachen kommunikativen Zugang zu Kindern herstellen, gezielt über Inhalte sprechen und gesundheitsförderliches Verhalten im Spiel nochmals loben.“
KEINE KOMMENTARE