Wie ein ganzheitlicher Behandlungsansatz dem Patienten weiterhilft und welche interessanten Möglichkeiten die Funktionsdiagnostik für zahnmedizinische Fachangestellte bereithält. Ein Gespräch mit M. Sc. M. Sc. Kerstin Jäger gibt Antworten.
Mund und Kiefer spielen im komplexen System des menschlichen Körpers eine ganz bedeutende Rolle: Einerseits beeinflusst die Situation von Kaumuskulatur und Kiefergelenk stark den Bewegungsapparat – schon kleinste Fehlstellungen des Bisses können große Schmerzen oder Probleme mit der Beweglichkeit auslösen. Andererseits können Entzündungserkrankungen im Mund sich negativ auf den Gesamtorganismus auswirken. Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind mittlerweile hinreichend bekannt. Gerade für Patienten, die viel oder professionell Sport treiben, kann eine parodontale Erkrankung eine große Leistungsminderung mit sich bringen. Kieferprobleme vermindern oftmals die Bewegungsfähigkeit. Und auch der Hobbysportler ist durch Entzündungen oder Dysfunktionen eingeschränkt. Bei der Betreuung in der Zahnarztpraxis sollte deshalb stets der gesamte Mensch betrachtet werden.
Funktionsdiagnostische Weiterbildung verbessern
Davon überzeugt ist auch die ehemalig niedergelassene Zahnärztin M. Sc. M. Sc. Kerstin Jäger. Die auf Funktionsdiagnostik und Sportzahnmedizin spezialisierte und stets ganzheitlich arbeitende Zahnärztin und Implantologin führte bis vor einigen Jahren in der Sportstadt Leipzig eine eigene große Praxis mit mehreren Kollegen, in der sie zahlreiche Spitzensportler betreute. Für Jäger gehören zu einem ganzheitlichen Behandlungskonzept in der Zahnarztpraxis sowohl die Behandlung von muskulär-statisch-orthopädischen bzw. „orthodentischen“ Problemen (Funktionsdiagnostik) als auch die Prävention, Früherkennung und Behandlung von chronisch entzündlichen Entzündungen (Arbeitsfeld der Prophylaxe und Paro-Therapie). Während die meisten Praxen ihrer Meinung nach „bereits ein gutes prophylaktisches und parodontologisches Konzept anwenden“, trauen sich viele Teams allerdings noch nicht an die Funktionsdiagnostik heran. Jäger glaubt, das liege unter anderem an den bisher oft zu komplizierten und unterschiedlichen fachlichen Konzepten. Stattdessen fehle es an „einfachen Basic-Informationen und unproblematisch umsetzbaren Praxiskonzepten.“ Das möchte sie ändern.
Das Leipziger Netzwerk
Seit rund 20 Jahren baut Kerstin Jäger ein Netzwerk auf, in dem sich unter anderem Mediziner, Zahnmediziner, zahnmedizinisches Fachpersonal, Physiotherapeuten, Orthopäden und Zahntechniker untereinander austauschen können. Die Partner dieses Netzwerkes treffen sich einmal jährlich in Leipzig. Jäger engagiert sich außerdem als Vize-Präsidentin in der noch jungen Deutschen Gesellschaft Zahn- und Medizin für Sportler (DGZMS). Gemeinsam mit anderen Fachexperten hat sie ein fünfmonatiges universitäres 360-Grad-Curriculum entwickelt, mit dem sich unter anderem Zahnärzte zum Sportzahnarzt und DGZMS-Spezialisten fortbilden können.
Um die Zusammenhänge von Zahn- und Allgemeingesundheit besser zu verstehen, ist es für zahnmedizinische Teams äußerst hilfreich, mit anderen Fachexperten, wie zum Beispiel Orthopäden oder Allgemeinmedizinern, zusammenzuarbeiten.
Bisher wird bei der funktionsdiagnostischen Wissensvermittlung allerdings vor allem auf den Zahnarzt geschaut. Kerstin Jäger möchte zusätzlich die Praxismitarbeiter fördern. In der Zahnarztpraxis braucht es Mitarbeiter, die sich nicht nur für die Prophylaxe, sondern auch für die Funktionsdiagnostik begeistern, sagt sie. Deshalb gibt es beim Leipziger Netzwerktreffen auch ein separates Vortragsprogramm für die Praxismitarbeiter.
Der ganzheitliche Behandlungsansatz in der Zahnarztpraxis kommt nicht nur dem Patienten zugute, dem eine schnelle Befundung und einen besseren therapeutischen Erfolg ermöglicht wird, – auch das zahnmedizinische Fachpersonal kann von der Funktionsdiagnostik profitieren. Mit dem Fachbereich eröffnen sich viele neue spannende Aufgabenfelder.
Vision eines neuen Berufsbilds: Orthodentische Fachassistenz
Neben Mitarbeiterinnen, die die klassischen Aufstiegsfortbildungen zur ZMP oder DH absolviert haben, könnten hier auch andere Kolleginnen tätig werden. Zum Beispiel wäre die Etablierung einer „Orthodentische Fachassistenz (ODF)“ als neues Berufsfeld denkbar. Diese könnte sich einen Ersteindruck vom Patienten mithilfe eines angepassten Anamnese- bzw. Screeningbogens verschaffen. Trägt der Patient Einlagen? Knackt neben dem Kiefergelenk auch das Knie? Schließlich seien zahlreiche Aufgaben, die mit einer Funktions- und Schienen-Therapie oder prothetischen Versorgung verknüpft sind, an das Team delegierbar. Eine entsprechend ausgebildete Mitarbeiterin ist in der Lage, den Patienten selbst ganzheitlich zu betrachten, zu dokumentieren und so den Zahnarzt in der Diagnose zu unterstützen – ähnlich dem Berufsfeld einer ZMP oder DH. Sie nimmt einen Abdruck, unterstützt bei Gesichtsbogen und Bissregistraten, welche heute zum Teil bereits digital hergestellt werden können. Sie vermisst den Patienten und kann die Daten der Vermessungs-Software vorbereiten und könnte so die Schienen eigenständig überprüfen und einsetzen, sodass der Zahnarzt nur noch die „Endkontrolle“ durchführen müsste. An dieser Vision arbeitet Kerstin Jäger. Bis sie Realität wird, möchte Jäger das Praxisteam in den bestehenden Aufgaben bestmöglich unterstützen und schulen.
Netzwerktreffen 2019: Das erwartet Euch
Vom 31. Mai bis 2. Juni 2019 findet das bereits 13. Netzwerktreffen statt. Das Programm für das Praxisteam hält am Samstag viele spannende Themen bereit. Hier erfahrt Ihr, wie Ihr mit Schmerzen und Hypersensibilitäten umgeht, wie moderne Prophylaxe von heute aussieht und was die wichtigsten präventiven Maßnahmen für Erosionen und Halitosis sind. Ihr lernt auch, welche Auswirkungen Gingivitis und Parodontitis auf die sportliche Leistung haben kann. Außerdem erhaltet Ihr professionelle Tipps für ein gutes QM und Praxismarketing sowie Infos zum neuen möglichen Berufsfeld einer „Orthodentischen Fachassistenz“. Mehr dazu gibt es auf www.city-akademie-leipzig.de.
Interessant: Wer sehr großes Interesse an den neuen Chancen der Funktionsdiagnostik hat, kann seinen Chef/seine Chefin auf Anfrage bei Kerstin Jäger sogar bei dem fünfmonatigen DGZMS-Curriculum begleiten und sich zum richtigen Experten entwickeln.
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