Viele Patienten kommen mit Parodontitis und periimplantären Erkrankungen in die Zahnarztpraxis. Die Dentalhygienikerin (DH) ist – neben dem Zahnarzt – die entscheidende Fachkraft im Team zur Betreuung dieser Patienten. Prof. Dr. Johannes Einwag und sein Team vom Zahnmedizinischen Fortbildungszentrum Stuttgart (ZFZ) bilden seit 25 Jahren DH aus. Was das Besondere an der Aufstiegsfortbildung ist, erfährst Du im Interview.
Vor 25 Jahren startete die DH-Fortbildung am ZFZ Stuttgart. Wie hat sich das Interesse seitdem entwickelt?
Prof. Einwag: Das Interesse war von Anfang an enorm! Wir starteten 1994 mit 16 Kursteilnehmern, knapp 70 ZMF hatten sich aber beworben. Danach erhöhten wir die Teilnehmerzahl auf maximal 20 pro Jahr. Im Jahr 1999 folgte Hamburg als zweite Ausbildungsstätte. Anschließend kamen mit Westfalen-Lippe, Bayern, Niedersachsen, Bremen, Nordrhein immer mehr Kammerbereiche hinzu. Die Aufstiegsfortbildung nach dem Grundmuster Baden-Württemberg wurde zum Erfolgsmodell. Heute ist das Interesse, obwohl sich neue Fortbildungsformate wie der Bachelor-DH etabliert haben, ungebrochen. Inzwischen haben rund 500 Teilnehmer ihre DH-Fortbildung am ZFZ erfolgreich abgeschlossen.
Als weitere Kammern mit der DH-Fortbildung begannen, brachten Sie dort Ihre Expertise mit ein?
Prof. Einwag: Das war selbstverständlich! Es muss ja nicht jeder das Rad neu erfinden. Allerdings werden in den verschiedenen Ausbildungsstätten Neuentwicklungen unterschiedlich gewichtet und umgesetzt. So kam es in den vergangenen Jahren sowohl zu inhaltlichen Schwerpunktverlagerungen als auch zu regional unterschiedlich starken strukturellen und organisatorischen Anpassungen.
Was gab den initialen Anstoß für den Beginn der DH-Fortbildung am ZFZ Stuttgart vor 25 Jahren?
Prof. Einwag: Mit dem Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes im Jahre 1993 wurden durch Artikel 22 („Änderung des Gesetzes zur Ausübung der Zahnheilkunde“) erstmals die gesetzlichen Voraussetzungen für die Qualifizierung einer Dentalhygienikerin in Deutschland geschaffen.
Welche Voraussetzungen mussten für die DH-Fortbildung geschaffen werden?
Prof. Einwag: Die am weitesten gehende Fortbildungsmöglichkeit in Deutschland bis zum Jahr 1993 war die ZMF (damals „Zahnmedizinische Fachhelferin“), die erstmals 1974 in Baden-Württemberg angeboten wurde und vorher weder im In- noch im Ausland existierte. Wie damals bei der ZMF musste auch bei der Etablierung der Dentalhygienikerin das komplette Fortbildungsformat von Grund auf neu entwickelt werden. Baden-Württemberg reagierte als erste Kammer auf die neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Es gab weder inhaltliche, zeitliche, organisatorische noch strukturelle Vorgaben für die Dentalhygienikerin in Deutschland. Ganz abgesehen davon: Wer sollte unterrichten? Es gab keine „DH-Lehrer“. Es lag nahe, sich am Ausland zu orientieren, denn – im Unterschied zur Entwicklung der ZMF – DH gab es ja bereits „im Rest der Welt“. Bei entsprechenden Sondierungen stießen die Verantwortlichen bereits nach kurzer Zeit allerdings auf eine bis heute gültige Tatsache: Dentalhygienikerin ist nicht gleich Dentalhygienikerin. Den Begriff gibt es in vielen Ländern der Welt – dahinter stecken aber teilweise extreme Unterschiede in Art, Inhalt und Umfang der Ausbildung. Allein in den USA gibt es mehr als 300 Ausbildungsstätten mit unterschiedlichen Lernzielen und -inhalten.
Also: Auch hier erschien eine einfache Kopie bestehender Vorgaben nicht sinnvoll! Allerdings bot sich in einer derartigen Situation auch die Chance zur Etablierung einer innovativen, den Anforderungen der modernen Arbeitswelt eher angepassten Lösung. Es entstand die modulare Aufstiegsfortbildung zur DH.
Wo sehen Sie den Vorteil einer Aufstiegsfortbildung zur DH an einem Fortbildungsinstitut der Kammer gegenüber einer Hochschulausbildung zum DH-Bachelor?
Prof. Einwag: Grundsätzlich könnte ich mit beiden Arten der Qualifikation leben – wenn das Ergebnis stimmt. Die Qualifikationen sind andersartig, aber gleichwertig. Das Konzept der Aufstiegsfortbildung ist jedoch völlig anders angelegt als eine Hochschulausbildung. Bei der Aufstiegsfortbildung handelt es sich um eine Qualifikation „aus der Praxis für die Praxis“ mit einer für die Qualität der Patientenversorgung besonders wichtigen Komponente: die praktischen, organisatorischen und kommunikativen Fertigkeiten für den Umgang mit dem Patienten werden über Jahre im Routinebetrieb in der zahnärztlichen Praxis erworben.
Nämlich wie genau?
Prof. Einwag: Die einzelnen Module sind so konzipiert, dass nach Abschluss eines Moduls erst in der Praxis Routine erworben wird, bevor die nächste Qualifikationsstufe angegangen wird. Dies ist ein ganz entscheidender Schritt zur Qualitätssicherung.
Welche weiteren Vorteile haben Praxismitarbeiter durch das am ZFZ angebotene Aufstiegsfortbildungssystem?
Prof. Einwag: Eine Menge! Um ein paar zu nennen: Das System ist strukturell klar gegliedert, die einzelnen Module sind in sich abgeschlossen und bauen aufeinander auf. Jede Mitarbeiterin kann entscheiden, welche und wie viele der Bausteine sie absolvieren möchte. Ob die gesamte Palette der Module in 2, 5 oder 10 Jahren absolviert wird ist irrelevant. Einmal gewonnene Qualifikationen gehen nicht verloren. Die einzelnen Fortbildungsmodule sind außerdem fachlich äußerst zeitnah anpassungsfähig. So muss, wenn neue fachliche Erkenntnisse vorliegen bzw. Rahmenbedingungen sich ändern, nicht ein ganzes System geändert werden. Auch der finanzielle Aspekt ist von erheblicher sozialpolitischer Bedeutung. So gaben beispielsweise mehr als 90 % der bislang knapp 500 in Stuttgart qualifizierten Dentalhygienikerinnen an, dass sie sich eine mehrjährige Ausbildung zur Dentalhygienikerin im Ausland nicht hätten leisten können.
Wohin wird sich das Berufsbild der DH entwickeln?
Prof. Einwag: Für Zahnärzte sind Dentalhygienikerinnen aus der modernen Zahnmedizin nicht mehr wegzudenken. Bis heute arbeiten viele Dentalhygienikerinnen bei verschiedenen Arbeitgebern, da der Arbeitsanfall z. B. in einer Einzelpraxis häufig nicht für die Auslastung einer Dentalhygienikerin ausreicht. Mit der zunehmenden Bedeutung von Mehrfachpraxen und zahnmedizinischen Gesundheitszentren entwickelt sich die Dentalhygienikerin häufig zur Führungskraft einer Abteilung Prävention. Dies muss natürlich auch bei den Fortbildungsinhalten berücksichtigt werden. Die Nachfrage nach entsprechend differenzierten Fortbildungsangeboten im Assistenz und im Verwaltungsbereich wird angesichts der rasanten Weiterentwicklung des Faches wie auch der anstehenden strukturellen Änderungen in den Praxen (Abschied von der Einzelpraxis hin zu „Minikliniken“) sowie des Zwanges zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen künftig eher zunehmen. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass aktuell bestehende Module inhaltlich und strukturell modifiziert, radikal verändert, vollständig eliminiert oder neu kreiert werden. Stillstand ist Rückschritt!
Du interessierst Dich für eine Aufstiegsfortbildung zur Dentalhygienikerin? Weitere Infos und Kurse findest Du auf der Website des ZFZ.
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