Bruxismus ist mittlerweile eine Volkskrankheit in Deutschland. Jeder Fünfte leidet unter den Symptomen. Eine evidenzbasierte Handlungsempfehlung zum Umgang mit betroffenen Patienten fehlte bisher. Jetzt hat die Wissenschaft reagiert und erstmals eine S3-Leitlinie zu den Möglichkeiten von Diagnostik und Behandlung von Bruxismus veröffentlicht.
Die S3-Leitlinie zu Bruxismus wurde federführend von der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) entwickelt. Sie richtet sich sowohl an Zahnärzte und MKG-Chirurgen als auch an weitere medizinische Fachvertreter wie etwa Neurologen, HNO-Ärzte oder Physiotherapeuten. Aber auch Euch im Praxisteam können die enthaltenen Handlungsanweisungen mehr Sicherheit im Umgang mit Bruxismus-Patienten geben.
Bruxismus: Definition und Folgen
Unter dem Begriff “Bruxismus” fasst man sowohl das Zähneknirschen, das Zähnepressen als auch das Anspannen der Kiefer ohne Zahnkontakt zusammen. All diese Ausprägungen können Schädigungen der Zahnhartsubstanz oder des Zahnfleisches sowie Funktionsstörungen des Kauapparates hervorrufen. Darüber hinaus können die Probleme auch zum Verlust von Restaurationsmaterialien oder zum “Versagen” von Zahnersatz führen.
Doch das Bruxismus-Verhalten dient dem Körper teilweise auch als Schutzfunktion: Bei Schlafapnoe etwa bewirkt die Anspannung der Muskeln das Offenhalten der oberen Atemwege, bei Sodbrennen regt der Bruxismus den Speichelfluss an und vermindert damit die Wirkung der Magensäure.
Auch wenn Bruxismus-Leiden bereits ab dem ersten Zahn bis ins hohe Alter auftreten können, sind besonders Erwachsene im mittleren Alter (zwischen 30 und 45 Jahren) davon betroffen. Laut Leitlinie tritt Bruxismus bei Frauen und Männern gleichermaßen auf. Es gibt aber auch Studien, die Bruxismus als ein Frauenproblem identifizieren.
Die Kernpunkte der S3-Leitlinie
Die Kernaussage der neuen Leitlinie lautet: Bruxismus selbst ist keine Krankheit, kann jedoch starke Auswirkung auf die Mundgesundheit und die Kiefergelenke haben.
Die S3-Leitlinie beantwortet drei Schlüsselfragen zur Diagnostik und Behandlung von Bruxismus.
- Wie ist der Weg zu den Diagnosen Schlaf- und Wachbruximus?
- Bestehen Überschneidungen zwischen Bruxismus und Craniomandibulärer Dysfunktion (CMD)?
- Welche Behandlungen sind bei Schlaf- und Wachbruxismus zu empfehlen?
Arten und Typen von Bruxismus
Außerdem eröffnet der Leitfaden verschiedene Ansätze, die Ausprägungen des Bruxismus zu klassifizieren. Unterschieden wird zum Beispiel zwischen Schlafbruximus und Wachbruxismus (bzw. der Kombination aus beidem). Die Fachgesellschaften gehen davon aus, dass Wachbruxismus vor allem psychologisch bedingt ist, während Schlafbruxismus eher als zentralnervöse Störung angesehen wird. Aber die Ursachen für Bruxismus sind vielfältig und damit häufig nicht eindeutig identifizierbar: Angefangen von Stress bis hin zu Drogenkonsum oder auch genetischen Faktoren.
Die Verfasser der S3-Leitlinie unterteilen weiterhin in primären Bruxismus (= ohne erkennbare Ursache) und sekundären Bruxismus (= als Folge). Außerdem lassen sich die Arten des Bruxismus anhand der Muskelaktivität sowie anhand der klinischen Konsequenzen unterscheiden.
- tonischer Bruxismus bedeutet Kontraktion der Muskeln länger als 2 Sekunden
- phasischer Bruxismus meint kurze, wiederholende Muskelkontraktionen unter 2 Sekunden mit mindestens drei Muskelaktivitäten
- Kombination aus tonischem und phasischem Bruxsimus
- Kein Risikofaktor oder protektiver Faktor (Schutzfunktion des Körpers): harmloses Verhalten
- Risikofaktor: Bruxismus wird mit negativen Auswirkung auf die Gesundheit in Verbindung gebracht
- Protektiver Faktor: Bruxismus wird mit einer oder mehreren positiven Auswirkungen auf die Gesundheit in Verbindung gebracht
Diagnostik des Bruxismus
In der Leitlinie werden die unterschiedlichen diagnostischen Methoden nach ihrer Aussagekraft abgestuft:
- möglicher Bruxismus = positive Hinweise bei der Patientenbefragung
- wahrscheinlicher Bruxismus = positive klinische Hinweise (mit oder ohne positive Hinweise aus der Befragung)
- definitiver Bruxismus = positive instrumentelle Befunde (z. B. neurologische Messungen)
Momentan ist der Schlafbruxismus in allen drei Stufen leichter nachzuweisen als der Wachbruxismus. Aber gerade wenn das Zähneknirschen im Schlaf auftritt, können die Patienten bei der Anamnese oft keine genauen Aussagen machen, weil sie davon nichts mitbekommen. Meist helfen da nur die Berichte der Schlafpartner. Aber auch die sind laut Leitlinie nicht hundertprozentig verlässlich. Es gibt jedoch typische Symptome von Bruxismus, die Euch helfen, die Probleme des Patienten zu erkennen. Zur Prüfung von nächtlichen Bruxismusaktivitäten können außerdem eingefärbte Schienen herangezogen werden.
Um Wachbruxismus zu erkennen, sollte laut Leitlinie vor allem die Beobachtung des Verhaltens durch den Patienten selbst und ggf. die Unterstützung durch sogenannte Biofeedbackgeräte zu Rate gezogen werden.
Zusammenhänge zwischen CMD und Bruxismus
Die S3-Leitlinie geht auch auf den Zusammenhang von Craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) und Bruxismus ein. Demnach ist CMD ein Sammelbegriff für Schmerzen, Dysfunktionen und Funktionsstörungen im Bereich der Kaumuskulatur und Kiefergelenke, die durch verschiedenartige Faktoren ausgelöst werden. Auch Wach- oder Schlafbruxismus können zu einer CMD beitragen. Noch ist jedoch nicht endgültig geklärt, ob Bruxismus nur die Entstehung einer CMD begünstigt oder ihr unmittelbarer Auslöser ist.
Aufklärung und Beratung von Bruxismus-Patienten
Der Aufklärung und Beratung von Patienten mit Bruxismus schreibt der Leitfaden eine große Bedeutung zu. Deshalb ist es wichtig, dass auch Ihr Euch intensiv mit dem Thema auseinandersetzt und mögliche Fragen der Patienten beantworten könnt. Zum Beispiel sollten Patienten auf Risikofaktoren wie Rauchen, Stress und Alkoholkonsum aufmerksam gemacht werden.
Empfehlung zur Behandlung von Bruxismus
Zur Behandlung von Schlafbruxismus empfiehlt die Leitlinie den Einsatz von harten Schienen für die gesamte Zahnreihe über einen langen Zeitraum, um die Zähne zu schützen und die Muskelaktivitäten zu reduzieren. Bei Kindern sollten maximal eine kurzfristige Schienentherapie in Erwägung gezogen werden. Vor einer komplexeren Bruxismus-Behandlung samt prothetischer Maßnahmen oder kieferchirurgischen Veränderungen sollte bestenfalls eine umfangreiche Funktionsanalyse durchgeführt werden und ggf. eine Vorbehandlung mit Okklusionsschienen erfolgen.
Fazit: Das Thema Bruxismus ist zwar sehr komplex, dafür aber auch unglaublich spannend. Fakt ist, dass Euch die Beschwerden immer öfter in der Praxis begegnen werden. Darum lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen. Und vielleicht eröffnen sich auch irgendwann in diesem Bereich neue berufliche Möglichkeiten für Euch.
Hier geht’s zur Langversion der Bruxismus-Leitlinie als PDF
Quelle: dgzmk.de
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