Was machst Du, wenn ein Kind zu Dir in die Praxis kommt, das vermutlich an einer Essstörung leidet? Solltest Du es darauf ansprechen? Oder die Eltern einbeziehen? So ein Gespräch ist auf jeden Fall nicht leicht. Etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland zeigen Symptome einer Essstörung.
Das ergab die zweite Welle der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts (RKI). Durch Essstörungen kommt es zu einer Mangelernährung und folglich zum vermehrten Einfluss von Magensäure auf die Zähne. Die Folgen können vielfältig sein: Unter anderem sind extreme Abnutzung, Karies, Mundtrockenheit, Schleimhautschäden, Mulden- und Randzackenbildung oder Verkürzung der Schneidekanten möglich.
Wichtig ist: Ursache für diese Auffälligkeiten am Gebiss ist die Essstörung – deshalb ist auch der Therapieerfolg vom Essverhalten Deines Patienten abhängig. Ein guter Grund, ihn oder sie unbedingt darauf anzusprechen.
Diese Formen gibt es
Besonders bei jungen Mädchen und Frauen treten Symptome einer Essstörung auf. Einen Rückgang von 2,8 Prozent konnte die Studie nur bei 11-13-jährigen Jungen erfassen. Insgesamt sind etwa fünf Prozent der Deutschen krankhaft essgestört. Dabei sind die bekanntesten Formen Magersucht und Bulimie. Ferner tritt auch die Essstörung Binge Eating („gieriges Essen“) auf. Ähnlich wie bei der Bulimie werden attackenartig große Mengen Essen verschlungen, aber hier fällt das anschließende Erbrechen weg. Deshalb geht Binge Eating oft mit Übergewicht einher.
Professionelle Beratungsstellen kennen
Jeder Essstörung liegen tief verwurzelte Probleme zugrunde, die Du nicht lösen kannst. Schließlich bist Du kein Psychologe. Deswegen solltest Du bei der Behandlung dieser Patienten unbedingt einige professionelle Anlaufstellen in der Umgebung der Praxis kennen. Welcher Psychologe befasst sich zum Beispiel mit dem Thema, welche Beratungsstellen gibt es und welche Internetseiten sind hilfreich?
Das kannst Du tun
Aber was genau kannst Du tun? Du könntest im Wartezimmer Broschüren auslegen, die zeigen, was Essstörungen für Schäden verursachen können. Schließlich ist vielen Patienten nicht klar, welche Auswirkungen ihr Essverhalten auf ihre Zahngesundheit hat. Du kannst auch ein Gespräch mit dem Patienten über dieses Thema beginnen. Allerdings solltest Du dabei ein paar Dinge beachten.
Schaffe eine Atmosphäre, in der Dein Patient sicher sein kann, dass niemand das Gespräch mitbekommen oder belauschen könnte. Führe das Gespräch also am besten mit dem Patienten allein in einem geschlossenen Raum. Gehe behutsam vor: Lass Dir vom Patienten immer bestätigen, dass Du ihm oder ihr diese Fragen stellen darfst.
Gesprächsbeginn
Du könntest das Gespräch damit beginnen, dass Du Dir Sorgen um die Zahngesundheit Deines Patienten machst und diese als zu lösendes Rätsel darstellen. So gibst Du dem Patienten die Möglichkeit, selbst von der Essstörung zu erzählen. Sollte der Patient auf dieses unterschwellige Angebot nicht eingehen, kannst Du im nächsten Schritt mögliche Ursachen für den schlechten Zahnzustand benennen. Schweigt Dein Patient weiter oder antwortet er ausweichend, kannst Du das zahnmedizinische Problem in den Vordergrund stellen und deutlich machen, dass es Dir nur darum geht und Du niemanden verurteilst. Anschließend kannst Du im Gespräch zum gestörten Essverhalten übergehen, wobei Du aber das Wort „Essstörung“ möglichst vermeiden oder erst sehr spät im Gesprächsverlauf ansprechen solltest.
Auswirkungen auf die Zahngesundheit aufzeigen
Sichere Dich immer ab, ob Du weiterfragen darfst. Wenn ja, kannst Du nun sehr direkt werden. Möglicherweise blockt der Patient immer noch ab, aber zumindest hast Du einen Denkanstoß gegeben. Bei der nächsten Behandlung kannst Du dann einen neuen Gesprächsversuch starten. Hat sich der Patient geöffnet, dann gib ihm oder ihr den Kontakt zu einer der Anlaufstellen, die Du zum Thema kennst. Verdeutliche, welche Auswirkungen das Essverhalten auf die Zahngesundheit hat, gib grundlegende Tipps zur Zahnpflege und schlage einen engmaschigen Behandlungsplan vor.
Mögliche Fragen im Gesprächsverlauf:
Schritt 1: „An Deinen Zähnen erkenne ich ein paar Auffälligkeiten, die nichts mit mangelnder Zahnhygiene zu tun haben. Das bereitet mir etwas Sorgen. Kannst Du Dir vorstellen, woher das kommt?“
Schritt 2: „Nimmst Du häufig säurehaltige Getränke zu Dir oder isst viele Lutscher, Bonbons? Hast Du Sodbrennen? Ist Dir oft übel oder hältst Du eine strenge Diät?“
Schritt 3: „Ich möchte Dir nur bei Deinen Zahnproblemen helfen, ich werde nichts weiter beurteilen. Darf ich ein paar genauere Fragen stellen?“
Schritt 4: „Fühlst Du Dich wohl in Deinem Körper? Hast Du schon Diäten gemacht? Ernährst Du Dich einseitig oder isst Du heimlich?“
Schritt 5: „Ich bräuchte jetzt noch einige genauere Informationen zu Deinem Essverhalten, damit ich einen optimalen Behandlungsplan erstellen kann. Sag Bescheid, wenn Du dich bei einer Frage unwohl fühlst. Machen sich andere Menschen Sorgen um Dein Essverhalten? Nimmst Du Abführmittel, um abzunehmen? Warst Du schon in psychologischer Behandlung? Übergibst Du Dich manchmal nach dem Essen?“
Unbedingt vermeiden!
Patienten mit einer Essstörung fallen in einer Zahnarztpraxis eher auf als im Alltag. Betroffene haben vielleicht schon lange Zeit gelernt, ihre Krankheit zu verstecken – das macht ein Gespräch so schwierig. Trotzdem solltest Du das Problem ansprechen, den Patienten aber auf keinen Fall bedrängen. Bei Minderjährigen müssen außerdem die Eltern mit einbezogen werden. Um das Vertrauensverhältnis zum Patienten nicht zu gefährden, solltest Du das aber vorher ankündigen. Vermeide im Gespräch außerdem, den Patienten zu kritisieren, zu warnen oder gar zu drohen. Sei nicht autoritär und überrede nicht.
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