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Warum frühkindliche Karies und Untergewicht zusamm...

Fallbeispiel

Warum frühkindliche Karies und Untergewicht zusammenhängen

Klinisches Bild der frühkindlichen Karies im Alter von 2 ¾ Jahren: kariöse Destruktion der Oberkieferfrontzähne, chronische Entzündung im Bereich der Wurzelspitze aller oberen Milchfrontzähne.

Copyright © Wölfle, U.C., Hickel, R. & Kühnisch, J.

Frühkindliche Karies gehört zu den prävalenten Erkrankungen des Kindesalters. Ursächlich kann neben frequenter Zufuhr kariogener Getränke und Lebensmittel ein häufiges, prolongiertes Stillen sein. Zusätzlich führt ausschließliches Stillen über das erste Lebenshalbjahr hinaus zu einer Mangelversorgung. Im vorliegenden Fall wird ein 2-jähriges Kind mit frühkindlicher Karies (ECC Typ II) und erheblichem Untergewicht vorgestellt, welches ausschließlich gestillt wurde. Eine Zahnsanierung in Allgemeinanästhesie mit begleitender Ernährungsumstellung führte zur Normalisierung des Körpergewichts.

Anamnese

Ein untergewichtiges (9 kg), sonst gesundes Mädchen wurde wegen ausgeprägter Zahndefekte mit 22 Monaten erstmalig an der Poliklinik für Zahnerhaltung vorgestellt. Eine erneute Vorstellung erfolgte im Alter von 2 ½ Jahren (10,4 kg) mit einer weiter fortgeschrittenen und schmerzhaften Gebissdestruktion. Die Ernährungsanamnese ergab ein verlängertes, exklusives Stillen und gescheiterte Versuche der Beikosteinführung. Ein systematischer Beikostaufbau, beginnend mit dem 5. bis 7. Lebensmonat, und eine altersgerechte Ernährung nach vollendetem 1. Lebensjahr entsprechend DGKJ-Empfehlungen [4] fanden offensichtlich nicht statt. Nach Angaben der Mutter wurden die Zähne 2‑mal täglich mit einer fluoridhaltigen Kinderzahnpasta gereinigt.

Befund

Intraoral zeigten sich kariös destruierte Zahnkronen aller oberen Milchfrontzähne und ersten Milchmolaren. Die oberen mittleren und seitlichen Inzisiven wiesen Fistelungen im Sinne einer Parodontitis apicalis chronica auf. Der Mundhygiene wurde als unzureichend beurteilt, da an nahezu allen Zähnen Beläge aufgefunden wurden. Zusätzlich lag eine plaqueassoziierte Gingivitis vor.

Diagnose frühkindliche Karies

Das klinische Zustandsbild der Zähne entsprach einer frühkindlichen Karies (engl. „early childhood caries“, ECC) Typ II nach Wyne [10]. Zum Zeitpunkt der Zahnsanierung im Alter von 2 ¾ Jahren lag der Body-Mass-Index bei 10,8 kg/m2 (10,4 kg; 98 cm) und damit unterhalb der ersten Perzentile. Dies signalisiert ein Untergewicht [5]. Mit Blick auf das Untergewicht war die indizierte Zahnsanierung in Allgemeinanästhesie in einer ambulant tätigen zahnärztlichen Praxis nicht möglich.

Therapie und Verlauf

Bei erstmaliger Vorstellung mit 22 Monaten wurden bereits die Blickdiagnose einer ECC gestellt, die Indikation zur Zahnsanierung in Intubationsnarkose abgeleitet und eine präventionsorientierte Beratung zu Gesunderhaltung der Zähne durchgeführt. Die Therapie erfolgte allerdings erst mit 33 Monaten bei einer weiter fortgeschrittenen, dann auch schmerzhaften Gebissdestruktion. Die Verzögerung begründete sich in Bedenken der Familie gegenüber der Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie zur Durchführung der zahnärztlichen Therapie. Im Rahmen der Präventions- und Ursachenaufklärung wurde über eine altersgerechte und zahngesunde Ernährung informiert, welche in dieser Altersphase keinesfalls durch alleiniges Stillen gelingen kann. Zudem wurde auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen hochfrequentem, dauerhaftem und nächtlich anhaltendem Stillen und dem Auftreten einer ECC hingewiesen, da Muttermilch aufgrund des Milchzuckeranteils als potenziell kariogen einzustufen ist. Zusätzlich wurde eine konsequente Mundhygiene nach den Mahlzeiten durch die Eltern mit fluoridhaltiger Zahnpasta gefordert [6, 9].

Aufgrund des geringen Alters des Kindes, der fehlenden zahnärztlichen Behandlungsfähigkeit in Lokalanästhesie und des umfangreichen konservierend-chirurgischen Behandlungsbedarfs war die Zahnsanierung in Allgemeinanästhesie indiziert. Im Rahmen des Vorgehens wurden 6 Milchzähne (54, 52–62, 64) extrahiert; der Zahn 84 wurde mit einer konfektionierten Krone sowie die Milchzähne 53, 63, 74 mit direkten, adhäsiven Kompositfüllungen restauriert. Eine präventive Versiegelung der Fissuren und Grübchen an allen zweiten Milchmolaren erfolgte aufgrund des erhöhten Kariesrisikos. Mit dem Ziel der Gesunderhaltung der Zähne wurde das Kind in das bestehende Recall-System eingebunden, und die Eltern wurden gleichfalls zur Überwachung des Gewichtsstatus durch den Pädiater motiviert. Die postoperative Kontrolle ergab eine Umstellung der Ernährung auf Beikost mit einer Gewichtszunahme auf 11 kg.

Diskussion

Die frühkindliche Karies ist eine prävalente Erkrankung des Kleinkindalters und betrifft je nach Altersgruppe bis zu 15 % der Kinder, mit im Mittel 3,4 kariösen Zähnen [8]. Im Alter von 6 Jahren hat in Deutschland etwa jedes zweite Kind eine Karieserfahrung [7]. Klinisches Leitsymptom der ECC ist die Präsenz von kariösen Läsionen ab dem Zahndurchbruch, beginnend an den Oberkieferfrontzähnen, welche bei einem ungebremsten Verlauf in eine weitreichende Zahnzerstörung – auch an später durchbrechenden Milchmolaren oder Milcheckzähnen – münden kann. Schmerzhafte Pulpitiden, chronisch-apikale Entzündungen der Milchzähne mit bzw. ohne Fistelung, Abszedierungen oder die Präsenz von Wurzelresten können die direkte Folge sein und schränken Nahrungsaufnahme, Sprechverhalten und Lebensqualität der betroffenen Kinder ein. Ursächlich für eine ECC ist die frequente Zufuhr kariogener Getränke mit kalorischen Zuckern in Form von gesüßtem Tee, (verdünnten) Fruchtsäften und -schorlen oder Softdrinks. Auch Süßigkeiten wie Bonbons, Lutscher, Schokolade, Kekse oder andere zuckerhaltige Snacks sind zu nennen. Ebenso ist ein überproportional häufiges und/oder dauerhaftes Stillen nach dem 12. Lebensmonat eine mögliche Ursache der ECC [1]. Eine unregelmäßige und/oder unterbleibende Mundhygiene im Sinne der Biofilmentfernung begünstigt die Kariesprogression [1].

Die Ernährungsempfehlungen für Säuglinge und Kleinkinder beschreiben Stillen ohne Zufütterung für fast alle Säuglinge in den ersten 4 bis 6 Lebensmonaten, bei Bedarf kürzeres Stillen oder mit Zufütterung ergänzt, als angemessen [4]. Ab dem 5. bis 7. Lebensmonat soll Beikost mit dem Löffel zugefüttert (Teilstillen) und monatlich jeweils eine Milchmahlzeit durch eine Breimahlzeit ersetzt werden [4]. Ab dem 10. Monat soll die schrittweise Umstellung auf Speisen ausgewogener Familienernährung erfolgen, um den täglichen Nährstoffbedarf zu decken [4]. Demgegenüber wurde das Kind im vorliegenden Fall über mehr als 2 Jahre offensichtlich ausschließlich gestillt. Das prolongierte und exklusive Stillen begründete hier das hohe Kariesrisiko und deckte den erforderlichen Energiebedarf für eine regelrechte Körperentwicklung nicht ab. Dies ist als Mangelernährung zu beurteilen und mündete in ein Untergewicht. Unter Verweis auf die kariös zerstörten und schmerzenden Milchzähne sind eine reguläre Nahrungsaufnahme und Mundhygiene erschwert. Durch die Kontinuität und hohe Frequenz des Stillens ist die Substratzufuhr für die kariesverursachenden Mikroorganismen (verschiedene Streptokokkenspezies) in der Mundhöhle gewährleistet, bei gleichzeitig negativer Energiebilanz für das Kind. Dieser Teufelskreis kann nur durch die drastische Reduktion der Zuckerimpulse, die Gebisssanierung, einschließlich der Entfernung schmerzhafter Zähne, und die Umstellung auf eine altersgerechte Ernährung durchbrochen werden.

Wohl wissend, dass es sich bei der vorliegenden Fallbeschreibung um eine Ausnahmesituation handelt, zeigen empirische Beobachtungen aus dem kinderzahnärztlichen Alltag, dass ein zumindest prolongiertes und frequentes Stillen mittlerweile häufiger als Ursache einer ECC im Elterngespräch identifiziert wird. Die Vorstellung dieser Kinder erfolgt typischerweise innerhalb des 2. Lebensjahres, zuweilen mit Untergewicht. Der vorliegende Fallbericht soll Pädiater und (Kinder)Zahnärzte dafür sensibilisieren, eine frühkindliche Karies bei gleichzeitigem Untergewicht mit einem prolongierten, frequenten und möglicherweise auch exklusiven Stillen in Verbindung zu bringen. Während Stillen im 1. Lebensjahr aus vielerlei Gründen zu befürworten ist, steigt bei einem prolongierten, frequenten und exklusiven Stillen das Risiko einer ECC. Dieser Zusammenhang ist wissenschaftlich dokumentiert [1,2,3] und zählt neben einer frequenten Aufnahme zuckerhaltiger Getränke und Lebensmittel heute zu den hauptsächlichen Ursachenkomplexen der ECC. Bleibt zudem eine altersgerechte Gewichtsentwicklung des Kindes aus, werden die Empfehlungen zum Kostaufbau im Kleinkindalter möglicherweise nicht umgesetzt.

Fazit für die Praxis

Die frühkindliche Karies wird vordergründig durch einen häufigen Konsum zuckerhaltiger Getränke aus Saugerflaschen mitverursacht. Seltener werden andere Formen der Fehlernährung als Kariesursache beobachtet. Der vorgestellte Fall zeigt, dass ständiges Nuckeln an der Mutterbrust zu schwerer Karies und dass eine Fehlernährung mit ausschließlichem Stillen jenseits des ersten Lebenshalbjahrs zusammen mit der durch kariöse Zahnschmerzen verursachten Ernährungsstörung zu Untergewicht führen kann. Zahngesunde Ernährungsweise, optimale Mundhygienebemühungen und ein indikationsgerechter Fluoridgebrauch können dies präventiv unterbinden.

Literatur

 

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