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Berechenbarkeit der Fremdanamnese

Abrechung

Berechenbarkeit der Fremdanamnese

© michaeljung/iStock

Die Berechnung der Leistung nach GOÄ-Ziffer 4 hat häufig einen Beihilfebescheid im Gefolge, dessen Inhalt viele Zahnärzte schon „auswendig“ rezitieren können, bevor sie ihn gelesen haben. Ursächlich dafür ist ein Runderlass des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen von 1997, wonach die GOÄ-Nr. 4 (Fremdanamnese) in der Regel nicht beihilfefähig sei.

Nur in Ausnahmefällen könne eine Fremdanamnese erforderlich sein, etwa bei Patienten, die sich nicht verbal äußern können, bei räumlich abwesenden oder bewusstseinsgestörten Patienten, ferner bei Patienten, die einer Therapie bedürfen (Diät, Alkohol- oder Medikamentenentzug), die die Mithilfe einer Bezugsperson voraussetzen kann, oder bei durch akute, lebensbedrohliche Krankheitssymptome (epileptischer oder asthmatischer Anfall) gefährdeten Patienten.

„Beihilfe-Willkür“?

Dabei dehnen die meisten Beihilfestellen die ursprüngliche Geltung dieser Regelung für den Bereich kieferorthopädische Behandlung mittlerweile „hemmungslos“ auf fast alle Bereiche der Zahnmedizin und Oralchirurgie aus. Doch ist das nur „Beihilfe-Willkür“ oder gründet der zitierte Runderlass tatsächlich auf gebührenrechtlichen Fakten?

Folgt man der Definition der Leistungsbeschreibung zur GOÄ-Ziffer 4, so lässt sich zunächst Folgendes feststellen: Leistungsinhalt der Nr. Ä4 ist einmal die Erhebung der allgemeinen und besonderen Vorgeschichte (Anamnese) der Erkrankung durch eine andere Person als den Patienten, weil dieser nicht in der Lage ist, selbst darüber Auskunft zu geben. Die Gründe dafür sind vielschichtig, entscheidend ist für die Berechnung dieser Leistung, dass es um Personen geht, die eine Bezugsperson benötigen. Das können Kleinkinder, Behinderte oder auch Unfallpatienten sein. Diese beispielhafte Aufzählung ist allerdings nicht abschließend, auch müssen die betreffenden Patienten bei der Besprechung mit dem Behandler nicht zwangsläufig anwesend sein, und eine telefonische Unterweisung ist ebenfalls möglich.

Die Ä4 ist auch ansetzbar, wenn die Bezugsperson eine Unterweisung erhält, wie der Patient zu seiner Gesundung zu führen ist beziehungsweise welche Maßnahmen dazu eingeleitet oder überwacht werden müssen. Dies betrifft beispielsweise ambulante operative Eingriffe, bei denen die betroffenen Patienten eine zwingend erforderliche Betreuung und Beaufsichtigung postoperativ benötigen.

Mögliche Krankheitsbilder nicht definiert

Damit wird deutlich: Mit der Nr. Ä4 wird die besonders schwierige und gegebenenfalls zeitaufwendige Situation vergütet, Fremdanamnese für einen zu behandelnden Patienten sowie Besprechungen, Unterweisungen über die „Zwischenstation“ einer Bezugsperson mittelbar zu erbringen. Voraussetzung ist in jedem Fall das Vorliegen einer Erkrankung, bei der die Fremdanamnese und die Unterweisungen einen entsprechenden Zeitaufwand (ca. fünf bis sieben Minuten) erfordern. Die Arten möglicher Krankheitsbilder bzw. Befunde sind allerdings vom Verordnungsgeber weder inhaltlich noch fachbereichsbezogen definiert worden, auch wenn das „fleißig“ behauptet wird.

 Aus gebührenrechtlicher Sicht betrachtet, ist die GOÄ-Ziffer 4, von einem behandelnden Arzt und/oder Zahnarzt erbracht, pro Krankheitsfall und 30-Tage-Zeitraum nur einmal berechnungsfähig. 

§ 6 Abs. 2 GOZ macht die GOÄ mit allen gültigen Berechnungsbestimmungen für die Zahnärzte zugänglich u. a. im gesamten Abschnitt B I, also auch die Ä4. Dennoch wird gerade die Ä4 für Zahnärzte beharrlich infrage gestellt, und dies nicht nur von Beihilfestellen. Dennoch muss auch in der zahnärztlichen Praxis bei wesentlichen Erkrankungen mit erhöhtem Aufwand, etwa bei den Begleitpersonen von Kindern, Anamnese und vorangegangene Symptomatik eruiert werden.

Keine Zeitvorgaben für die Ziffer Ä4

Daher sieht der GOZ-Ausschuss der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) in folgenden typischen Fällen die Berechenbarkeit der Ä4 als gegeben an: „Kleinstkinder, Behinderte, Unfallpatienten und ggf. auch bei ausführlichen Unterweisungen der Begleitpersonen, die therapeutische Konsequenzen nach sich ziehen“. Interessant: Die restriktiven Kommentierungen der Ä4 im ärztlichen Bereich sind im Wortlaut der Leistungsbeschreibung nicht enthalten und auch nicht ableitbar. In der zahnärztlichen Praxis gibt es durchaus abweichende Indikationen, von differenziert zu betrachtenden Kalkulationsgrundsätzen einmal ganz abgesehen. Und es gibt keine Zeitvorgaben für die Dauer der Ä4.

Die Bayerische Landeszahnärztekammer stellte dazu fest (Stand Januar 2005): „Die Originalleistungsbeschreibung enthält weder eine Einschränkung, dass diese Position nicht auch von einem Zahnarzt angesetzt werden kann, noch dass sie nicht bei der Behandlung eines Kindes anfällt, sobald z. B. die Eltern einbezogen werden müssen. Aus der Begründung geht hervor, dass durch diese Gebührennummer besonders schwierige und aufwendige Fremdanamnesen und Unterweisungen mit Bezugspersonen honoriert werden sollen. Ist die Anamneseerhebung über eine Bezugsperson auch bei ‚normalem Gesundheitszustand‘ die Regel (z. B. bei Kindern), so ist auch diese nach Ä4 berechenbar.“

Genaue Dokumentation der Fremdanamnese wichtig

Und die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe formuliert in ihrer Stellungnahme zur GOÄ 4, (Stand 03/2009): „(…) Bei der Fremdanamnese wird nicht der Patient selbst befragt, sondern die Bezugsperson. Dies kommt dann infrage, wenn z. B. der Patient sich nicht verbal ausdrücken kann (mangelnde Sprachkenntnisse, Einschränkungen der Sprache durch Erkrankungen oder neurologische Defizite), der Patient unter einer retrograden Amnesie leidet oder nicht über die kognitiven Fähigkeiten zur Anamneseschilderung verfügt, wie das bei Kindern der Fall sein kann.“

Gerade die letztgenannten Szenarien sind im Alltag der zahnärztlichen Praxis gar nicht so selten. In Zeiten zunehmender Patientenströme ohne fundierte Deutschkenntnisse, angewiesen auf die Mithilfe von Dolmetschern, Übersetzern und/oder Betreuern, trifft der Leistungsinhalt der GOÄ-Ziffer 4 ebenso zu wie bei der Betreuung von Kindern, deren zahnärztliche Behandlung unter Umständen nur in Sedierung oder Vollnarkose mangels vorhandener Compliance stattfinden kann.

Wichtig für eine schlüssige und folgerichtige Abrechnung dieser Leistung ist wie in allen anderen Bereichen der Zahnmedizin auch eine genaue Dokumentation.



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