Diabetes mellitus verbreitet sich europaweit kontinuierlich. Die hohe Dunkelziffer mit eingerechnet, leiden heute mehr als acht Millionen Menschen in Deutschland an der Krankheit. Mittlerweile ist sicher: Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Diabetes und Parodontitis. DENTAL team sprach mit PD Dr. Christian Graetz über Auswirkungen und Therapiemöglichkeiten.
„Bereits vor Jahrzehnten wurde beobachtet, dass für beide Erkrankungen ein Zusammenhang hinsichtlich der Adipositas, der Lebensweise, aber auch genetischer Komponenten besteht“, erläutert PD Dr. Christian Graetz, Oberarzt und Leiter des Funktionsbereichs Parodontologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel.
Studien zeigen: Diabetiker haben ein circa dreifach erhöhtes Risiko, an Parodontitis zu erkranken. Gleiches gilt auch für vermehrte Attachmentverluste, sofern bereits eine Parodontitis aufgetreten ist. Außerdem wird von deutlich zahlreicheren Zahnverlusten berichtet, auch wenn die Untersuchungen dazu sehr unterschiedliche Angaben im Detail machen, speziell wenn weder Parodontitis noch Diabetes ausreichend therapiert wurden.
HbA1c-Wert im Blick behalten
„Auch wird man bei einem schlecht eingestellten Diabetes mellitus eine deutlich größere Zahl an Zähnen mit tieferen Zahnfleischtaschen finden, sodass man von einem schwereren Grad mit vermutlich fortschreitender Ausbreitung der Parodontitis ausgehen kann“, weiß Graetz. Dies gelte übrigens unabhängig vom Diabetestyp. Somit ist der Diabetes mellitus ein Risikofaktor und kann den Verlauf der Parodontitis maßgeblich beeinflussen.
Auf der anderen Seite kann eine Parodontitis natürlich auch negative Auswirkungen auf den Diabetes haben und zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels führen. Mit Zunahme der Sondierungstiefe oder des entzündeten parodontalen Gewebes steigt auch der HbA1c-Wert bei Diabetikern an. Dieser Blutzuckerlangzeitwert spiegelt die durchschnittliche Blutzuckereinstellung der letzten drei Monate wider und ist ein wichtiger Messwert bei den regelmäßigen Kontrollen. Es finden sich vermehrt Adipokine, also Fettgewebsproteine, im Parodont bei Diabetikern. „Man kann sich vereinfacht vorstellen, dass eine Zahnfleischtasche mit Biofilm bei jeglicher Berührung eine Bakteriämie verursacht. Somit würde eine größere Zahl an Zähnen mit pathologisch tieferen Zahnfleischtaschen eine größere Wunde bedeuten und dementsprechend zu einer stärkeren Bakteriämie führen. Deshalb steigt nachweislich mit Umfang und Schweregrad einer Zahnfleischentzündung auch der HbA1c-Wert“, erklärt Graetz.
Wie sollte sich eine Prophylaxefachkraft aber verhalten, wenn bei einem PA-Patienten der Verdacht auf eine Diabeteserkrankung besteht, und wie erkennt man dies überhaupt? Generell gilt: Eine entsprechend weitergebildete Prophylaxefachkraft sollte immer routinemäßig die anamnestischen Angaben des Patienten mit diesem zusammen durchgehen. Bereits dieser Vorgang könnte Angaben zu wichtigen Faktoren liefern, die auf eine Diabeteserkrankung schließen lassen. „Dies muss insbesondere dann bedacht werden, wenn bereits pathologische Veränderungen des Zahnhalteapparats oder andere intraorale Veränderungen wie Mundtrockenheit, aber auch regelmäßige Pilzinfektionen auftreten“, sagt Graetz. Gleiches gilt auch für gingivale Veränderungen, die nicht auf eine veränderte Mundhygiene oder eine professionelle Zahnreinigung ansprechen.
Beratungsgespräch ist ein Muss
Fragen zum HbA1c-Wert, dem Rauchverhalten und bereits bekannten Komplikationen des Diabetes mellitus sind selbstverständlich. Neben der zahnärztlichen Kontrolle kann in Einzelfällen auch eine ergänzende Rücksprache und Weiterbehandlung durch Hausärzte oder Spezialisten wie den Diabetologen empfohlen werden. „Leider wird trotz dieses mittlerweile umfassenden Bildes zur Wechselwirkung beider Erkrankungen nur selten eine interdisziplinäre Behandlung in der täglichen Praxisroutine durchgeführt“, erklärt Graetz. Dafür nennt er auch Gründe: „Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen fehlen den Praxen oft die Möglichkeiten zur einfachen Überweisung an den Haus- oder Facharzt.“ Zahnärzte können ihre Patienten zur Durchführung bestimmter Maßnahmen gemäß Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) nur an auftragnehmende Ärzte (z. B. der Mikro- oder Pathologie, Radiologie) überweisen. Dies sollte aber nicht davon abhalten, Risikopatienten für Diabetes in der Zahnarztpraxis mittels einfacher Screening-Tests, z. B. des Finnish Diabetes Risk Score (FINDRISK; www.diabetesstiftung.de/findrisk), zu identifizieren, um sie dann einer weiteren Diagnostik beim Haus-/Facharzt zuzuweisen.
Ergänzende spezifische Empfehlungen zur häuslichen Mundhygiene sind im Vergleich zu einem Nichtdiabetiker laut Graetz „gar nicht notwendig.“ Daher sollte sich die Prophylaxefachkraft an die gemeinsamen S3-Leitlinien der DGParo und der DGZMK zur mechanischen und chemischen häuslichen Biofilmkontrolle halten. Auf der anderen Seite sollten aber gerade spezifische Ernährungsgewohnheiten und das Rauchverhalten des Patienten besprochen werden. „Zu jeder Prophylaxesitzung gehört ein individuelles Beratungsgespräch“, betont‧Graetz. Außerdem sind regelmäßige Weiterbildungen und der daraus entstehende Kompetenzgewinn unerlässlich, um die Thematik in der Praxis aufgreifen zu können.
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