Die 2021 eingeführte PAR-Richtlinie ermöglicht den Patienten einen leichteren Zugang zu einer parodontalen Behandlung, die von den gesetzlichen Kassen getragen wird. Doch was ist mit Patienten, für die selbst eine „normale“ zahnmedizinische Behandlung schwierig ist – also eine PAR-Behandlung für vulnerable Gruppen? Auch für diese Patienten gibt es eine Lösung, die wir Euch mit Expertin DH Daniela Scheulen zeigen wollen.
Doch zu Beginn gilt es erst einmal zu klären, wer gehört eigentlich zur vulnerablen Patientengruppe, für die sich die Standespolitik seit vielen Jahren einsetzt, um ihnen einen gleichberechtigten Zugang zur modernen Zahnmedizin zu ermöglichen? Definiert wird diese Gruppe als Patienten, die einem Pflegegrad nach § 15 SGB XI zugeordnet sind oder Eingliederungshilfe nach § 99 SGB IX erhalten
- und bei denen die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Mundhygiene nicht oder nur eingeschränkt gegeben ist,
- oder die einer Behandlung in Allgemeinnarkose bedürfen,
- oder bei denen die Kooperationsfähigkeit nicht oder nur eingeschränkt gegeben ist.
Eingeschränkte Motorik
„Für diese Patientengruppen ist es besonders schwierig, ihre Mundhygiene aufrecht zu erhalten. Sie sind in ihrer Motorik oft sehr eingeschränkt“, erklärt Scheulen, die in der Zahnarztpraxis Dres. Brokmeier und Dres. Lehner in Mönchengladbach arbeitet. Deshalb sei es auch wichtig, für diese Patienten einen auf sie speziell zugeschnittenen Behandlungsplan durchführen zu dürfen.
Zur Einführung der PAR-Richtlinie im vergangenen Jahr stand deshalb auch die Frage im Raum, wie den Patienten aus vulnerablen Gruppen ein bürokratiearmer und barrierearmer Zugang zu einer parodontalen Behandlung ermöglicht werden könne. Mit Start der PAR-Richtlinie im Juli 2021 wurde diese Möglichkeit geschaffen.
Keine Beantragung
Anders als in der PAR-Richtlinie muss die Behandlung nicht bei der Krankenkasse beantragt werden. Es gibt ein spezielles Formular, welches vor der Behandlung nur ausgefüllt werden muss (Ausfüllhinweise zur Anzeige einer Behandlung von Parodontitis bei anspruchsberechtigten Versicherten nach § 22a SGB V). „In dieses Formular trägt man die geplante Behandlung gegenüber der Krankenkasse nur noch ein und so erhält diese Patientengruppe einen gleichberechtigten und barrierearmen Zugang zur Parodontitis-Therapie im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung“,weiß Scheulen.
Therapieerfolge seien bei Parodontitis nur zu erreichen, wenn man es schaffe, die Patienten in ein nachhaltiges Behandlungskonzept zu integrieren und das sehr engmaschig. „In unserer Praxis versuchen wir unsere Patienten aus vulnerablen Gruppen sehr regelmäßig zu unterstützen – sowohl in der Mundhygieneinstruktion wie auch in der Pflege und PZR. Zusätzlich instruieren wir auch die Angehörigen oder das zuständige Pflegepersonal“, erklärt Scheulen.
Grundlage ist die Anamnese
Als Grundlage der modifizierten Behandlungsstecke dient die Anamnese nach §3 der PAR-Richtlinie. Die Mindestvoraussetzung ist:
- Die Messung und Dokumentation der Sondiertiefen an mindestens zwei Stellen pro Zahn (mesioapproximal und distoapproximal)
- Weitere Angaben, soweit nach der individuellen Situation des Patienten nötig und möglich, sind in den PAR-Status einzutragen.
- Die Abrechnung erfolgt nach BEMA Nr. 4.
- Die Voraussetzung ist auch hier die Sondierungstiefe von 4 mm und mehr.
Teil der modifizierten Behandlungsstrecke ist außerdem die antiinfektiöse Therapie (AIT). Voraussetzung dafür seien Sondierungstiefen von 4 mm oder mehr. Die Abrechnung erfolgt gemäß der in BEMA-Teil 4 verankerten BEMA-Nummern AIT a und AIT b.
Entsprechend der PA-Richtlinie seien die konservierend-chirurgischen Maßnahmen einschließlich des Glätten von überstehenden Füllungs-Rändern je nach Indikation vor oder im zeitlichen Zusammenhang mit der PA-Therapie durchzuführen. Abgerechnet wird die AIT nach Abschluss am Ende des Monats.
Grading nicht ausschlaggebend
„Es ist zudem so, dass bei vulnerablen Patienten in Sinne von Paragraf 22a SGB V eine chirurgische Therapie auch ohne vorhergegangene AIT erfolgen darf“, berichtet Dentalhygienikerin Scheulen. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass für die Behandlung eine Allgemeinnarkose notwendig sei und Sondierungstiefen von 6 mm oder mehr vorliegen. Auch die chirurgische Therapie unterliege nur der Anzeigenpflicht, nicht der Genehmigungspflicht. Die Entscheidung über ein offenes Vorgehen trifft der Zahnarzt gemeinsam mit der Begleit- oder Bezugsperson.
Vulnerable Patienten haben auch bei der modifizierten Behandlungsstrecke einen Anspruch auf die UPT-Leistungen für die Dauer von zwei Jahren. Die Frequenz sei hierbei unabhängig vom Grading.
Modifiziert oder regelhaft?
Die Leistungen der PA-Behandlung können parallel zu und nach den Leistungen nach §22a SGB V erfolgen. Die UPT soll drei bis sechs Monate nach der AIT/CPT einmal je Kalenderhalbjahr durchgeführt werden, im Mindestabstand von fünf Monaten über zwei Jahre. Die Entscheidung obliegt dem Zahnarzt, ob die Behandlung modifiziert oder regelhaft durchgeführt wird.
Scheulen sieht die modifizierte Behandlungsstrecke für vulnerable Patienten durchaus positiv. „Ich finde, dass durch die neue Anpassung der Behandlungsrichtlinien endlich auch mit Bezug auf die Parodontitis-Behandlung von Menschen mit Behinderungen und pflegebedürftigen Menschen eine optimale zugeschnittene Versorgung stattfinden kann“, betont die Dentalhygienikerin. „Wir versuchen somit den Patienten wieder ein Stück Lebensqualität zu ermöglichen und zu schenken.“
Im Praxisalltag angekommen
In ihrem Praxisalltag in Mönchengladbach hat die modifizierte Behandlungsstrecke bereits ihren Platz und ihre Anwendung gefunden. Scheulen: „Wir versuchen dadurch unseren Patienten eine noch angemessenere Behandlung zu ermöglichen.“
Mehr Informationen Behandlung von Parodontitis außerhalb der systematischen PAR-Behandlung findet Ihr auf den Internetseiten der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung unter www.kzbv.de/par-richtlinie. Dort werden in einem Video auch die Leistungen und Regelungen zur Behandlung vulnerabler Gruppen erläutert.
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